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Spinale Muskelatrophien (SMA)

Klinische Symptomatik und Diagnostik

Als „Spinale Muskelatrophie“ (SMA) werden neuromuskuläre Erkrankungen  bezeichnet, die durch einen fortschreitenden Untergang von Nervenzellen im Rückenmark und z.T. auch im Hirnstamm charakterisiert sind. Etwa 80 Prozent der spinalen Muskelatrophien werden autosomal rezessiv vererbt und in Abhängigkeit vom Schweregrad in die Typen I-III eingeteilt. Mehr als 90 Prozent werden durch homozygote Deletionen/Mutationen des survival motor neuron Gens (SMN1) verursacht. Der Verlust des SMN1-Genproduktes führt zur Zerstörung von Nervenzellen  im Rückenmark, die die Muskulatur des Körpers versorgen, wodurch es zu Muskelschwäche und Atrophie besonders der rumpfnahen Arm- und Beinmuskulatur und später der gesamten Rumpfmuskulatur kommt.

Eine zweite, fast identische Kopie, das SMN2-Gen, unterscheidet sich im kodierenden Bereich durch lediglich ein Nukleotid von SMN1. Der homozygote Verlust, also der Verlust beider SMN2-Gene, führt nicht zu einem klinischen Phänotyp.

Beim  Menschen kommt häufig eine unterschiedliche Anzahl von SMN2-Genkopien vor (1 - 6 Kopien). Da von jeder SMN2-Kopie rund 10 % funktionales Protein gebildet werden, zeigen Patienten mit einer hohen Anzahl SMN2-Kopien in der Regel einen milderen Krankheitsverlauf. Der Schweregrad der Erkrankung verhält sich umgekehrt zur Anzahl der SMN2-Kopien: SMA Typ I-Patienten (Typ Werdnig-Hoffmann, akute infantile SMA) besitzen meist nur 1-2 SMN2-Kopien, SMA Typ II-Patienten (intermediäre Form) 2 oder 3 SMN2-Kopien und SMA Typ III-Patienten (Typ Kugelberg-Welander, juvenile SMA) 3 oder 4 SMN2-Kopien.

Symptomatische Therapie

Die Ursache für das Hauptsymptom der Erkrankung, den Muskelschwund, liegt im Untergang von für die Motorik zuständigen Nervenzellen im Rückenmark. Bedingt durch die fehlende Weitergabe von Impulsen vom motorischen Nerv an den Muskel kommt es zur Verschmächtigung der einzelnen Muskelfasern.

Ein wichtiger Teil der symptomatischen Behandlung dient der Optimierung von Ausdauer funktionsfähiger Muskulatur, der  optimale Bewegungsmöglichkeit der Gelenke, da Kontrakturen der Gelenke oder Verkrümmungen der Wirbelsäule (Skoliose), zu deutlichen Einschränkungen der Funktion von Gelenken und Organen führen können. Da im Besonderen auch die Atemmuskulatur von der Erkrankung betroffen ist, bedeutet die Einschränkung der Lungenfunktion ein erhöhtes Risiko für Lungenentzündungen. Bedingt durch die Schwäche der Atemmuskulatur resultiert ein geringerer Hustenstoß. Dieser ist jedoch notwendig zum Abhusten - bei Infektionen der Atemwege mit vermehrter Sekretproduktion bzw. beim Verschlucken von Nahrungsbestandteilen.

Störungen der Sprache, des Sprechens oder des Schluckens können logopädisch behandelt werden. Zu Schluckstörungen kann es infolge mangelhafter Koordination und/oder Schwächung der Schluckmuskulatur kommen. In diesen Fällen ist neben der Behandlung auch die Beratung wichtig, beispielsweise hinsichtlich der richtigen Körperhaltung beim Essen oder zu geeigneten Speisen.

Besonders wichtig ist die Handfunktion. Ziel der ergotherapeutischen Behandlung sind Verbesserung, Kompensation, Training motorischer Fähigkeiten, insbesondere der Feinmotorik. Hilfsmittel können entscheidenden Gewinn von Lebensqualität bedeuten und für den Alltag eine Erleichterung sein.

Molekulare Therapie

Antisense Oligonukleotide (ASO) zur  Regulierung des SMN2-Gens: DieTherapiestrategie zielt auf die Hochregulation der Aktivität des SMN2-Gens, um die Gesamtmenge an funktionalem SMN-Protein zu erhöhen. Die Transkription ist ein Vorgang, bei dem ein kleiner Teil der DNA einer menschlichen Zelle (Gen) in ein Botenmolekül (RNA) umgeschrieben wird, welches am Ribosom in ein Protein übersetzt werden kann (Translation).

Codierende Bereiche (Exons) unserer DNA sind immer wieder durch so genannte Introns unterbrochen. Diese nicht-codierenden Bereiche sind zunächst auch in der RNA enthalten, müssen jedoch später durch Spleißen (engl. splicing, Bezeichnung für das Herausschneiden von Introns aus der abgelesenen RNA), entfernt werden, so dass für die Übersetzung in ein Protein geeignete RNAs entstehen.

In der menschlichen Zelle sind normalerweise zwei Kopien des SMN1-Gens und bis zu zwei Kopien des SMN2-Gens vorhanden. Bei Menschen mit spinaler Muskelatrophie fehlen beide Kopien des SMN1-Gens oder sind verändert. In einigen Fällen haben Personen drei oder mehr Kopien des SMN2-Gens. Zusätzliche Kopien des SMN2-Gen sind mit einem milderen Verlauf der Erkrankung assoziiert. Auch das SMN2-Gen enthält Anweisungen für die Herstellung des Proteins, das wichtig ist für den Erhalt von spezialisierten Nervenzellen (Motoneuronen), die sich in Gehirn und Rückenmark befinden. Über Motoneurone werden Muskelbewegungen gesteuert. Durch den Austausch eines Grundbausteins in der DNA (im 7. Exon des SMN2 Gens) wird zu 90 % eine mRNA (messenger RNA; auch „Boten-RNA“ genannt) produziert. In dieser einzelsträngigen Abschrift  eines DNA-Teilstücks fehlt das 7. Exon. Das daraus entstehende  Proteinprodukt ist nicht mehr funktional. In den restlichen 10 % SMN2 mRNA ist das 7. Exon enthalten und es entsteht ein voll funktionsfähiges SMN-Protein. Modifizierte komplementäre RNA-Moleküle (Antisense Oligonukleotide, ASO) haben das Ziel, direkt in den Spleißvorgang der SMN2-mRNA einzugreifen und den Verlust des 7. Exons zu verhindern.

Small Molecules – „kleine Moleküle“

Ähnlich den Antisense Oligonukleotiden können Small Molecules das Spleißen der SMN2-mRNA korrigieren, wodurch mehr und/oder stabileres SMN-Protein produziert wird.

Gen-Therapie

Mit Hilfe der Gentherapie wird ein intaktes Gen in das Genom der Zelle eingefügt, um ein anderes defektes Gen zu ersetzen. Im Modell konnte gezeigt werden, dass der Defekt in dem Gen für das SMN-Protein behoben werden kann, indem spezielle Adenoviren als Trägervektor mit einer gesunden Version des Gens „beladen“ und intravenös injiziert werden. Mit der Entwicklung des sog. AAV9-Virus konnte die Blut-Hirn-Schranke überwunden werden, das intakte Gen gelangt zu den Zellen, diese können dann die korrekte Version des SMN-Proteins bilden.

Patientenregister

Im Rahmen des im 6. EU Rahmenprogramm geförderten Projekts TREAT-NMD wurden weltweit Patientenregister eingerichtet, um die Planung und Durchführung von multizentrischen klinischen Studien zu erleichtern. Das Register für deutsche und österreichische Patienten mit Spinaler Muskelatrophie befindet sich am Friedrich-Baur-Institut. Die Registrierung erfolgt online unter www.sma-register.de.

Ihr Ansprechpartner im Institut

Prof. Dr. Maggie Walter M.A.
Simone Thiele