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Muskeldystrophien

Klinische Symptomatik

Muskeldystrophien (MD) bilden eine klinisch und genetisch heterogene Gruppe genetisch determinierter, progredienter Erkrankungen des Muskels. Gemeinsames Symptom aller MD ist eine fortschreitende Muskelschwäche und –atrophie, die sich in Verteilungsmuster und Schweregrad zwischen den verschiedenen MD-Formen deutlich unterscheidet. Typische histologische Befunde zeigen vermehrte Faserkalibervariationen, ein Miteinander von de- und regenerierenden Muskelfasern und bereits in frühen Stadien signifikante endo- und perimysiale Fibrose. Für gewöhnlich erlaubt die morphologische Untersuchung eine eindeutige Zuordnung zur Diagnose MD, ohne allerdings eine Einordnung in die verschiedenen Diagnosen innerhalb dieser Gruppe zu ermöglichen. MD können in jedem Lebensalter auftreten; z.B. fallen Kinder, die an einer Form der kongenitalen MD (MDC) leiden, bereits bei Geburt oder kurz darauf durch generalisierte Hypotonie („Floppy infant“) auf, während sich bei Patienten mit oculopharyngealer MD (OPMD) die ersten Symptome meist erst zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr zeigen.

Nach konservativen Schätzungen beträgt die Prävalenz für MD bei beiden Geschlechtern um 286 x 10-6, d.h. bei einem von 3500 der deutschen Bevölkerung kann eine ererbte neuromuskuläre Erkrankung, die sich bei Geburt oder im Verlauf des späteren Lebens äußert, angenommen werden. Die häufigste Form stellt die X-chromosomal rezessiv vererbte DMD dar, erstmals beschrieben von G. Duchenne im Jahr 1861. 1986 wurde das zugrunde liegende Gen, in Folge auch das Genprodukt entdeckt, wodurch die molekulare Diagnose von DMD und der milderen allelischen Variante BMD möglich wurde. Ungefähr 50 Jahre später publizierte Batten die ersten Fälle mit kongenitaler Muskeldystrophie (MDC). Im Gegensatz zum Duchenne/Becker-Phänotyp sind Schwäche und dystrophe Veränderungen im Muskel bereits bei Geburt vorhanden.

Der Begriff der Gliedergürteldystrophie (limb girdle muscular dystrophy, LGMD) wurde Mitte des 20. Jh. geprägt, als klar wurde, dass eine zusätzliche große Gruppe nicht-kongenitaler Muskeldystrophien existiert, die sich sowohl von den X-chromosomalen Dystrophinopathien (DMD/BMD) als auch von der autosomal dominanten Facio-scapulo-humeralen Muskeldystrophie (FSHD) unterscheidet. Zwischenzeitlich hat sich der Begriff LGMD von einer Verlegenheitsdiagnose zu einer immer weiter expandierenden, detaillierten Liste von LGMD-Subtypen gewandelt (derzeit 22, mit steigender Tendenz!), für die eine akkurate molekulare Diagnostik zur Verfügung steht.

Der Erkrankungsbeginn reicht vom frühen Kindesalter bis in das späte Erwachsenenalter, dabei kann der gleiche Gendefekt allelische Fomen von kongenitalen und Gliedergürtelformen verursachen, wie für das Fukutin-related-protein-Gen (FKRP) und das POMT1-Gen gezeigt werden konnte.

Die Entdeckung von Emerin, dem für die X-chromosomale Muskeldystrophie Emery-Dreifuss (EDMD1, X-EDMD) verantwortlichen Gen, und die Beschreibung einer autosomal dominanten Variante (EDMD2) auf dem Boden von Mutationen im Lamin A/C-Gen (LMNA) zeigte die Bedeutung des „nuclear envelope“ für neuromuskuläre Erkrankungen. Mutationen in LMNA führen auch zu dilatativer Kardiomyopathie mit Überleitungsstörungen (CMD1A), Gliedergürteldystrophie 1B (LGMD1B), Charcot–Marie–Tooth Erkrankung Typ 2B1 (CMT2B1), und einer Vielzahl anderer, nicht-neuromuskulärer Erkrankungen wie der familiären partiellen Lipodystrophie Typ Dunnigan, der mandibuloacralen Dysplasie, oder Syndromen des vorzeitigen Alterns wie der Hutchinson-Gilford-Progerie und dem atypischem Werner-Syndrom.  Des Weiteren wurde ein neuer Laminopathie-Phänotyp mit kombinierter Myopathie und Progerie beschrieben.

Die Identifikation der genetischen Ursache und des defekten Proteins bei einer Reihe von MD hat in den letzten Jahren die Klassifikation dieser Erkrankungen revolutioniert und erlaubt neue Einsichten in die pathophysiologischen Zusammenhänge.

Diagnostik

Die wachsende Zahl von Genorten, spezifischen Genen und Genprodukten, die in der Pathogenese der Muskeldystrophien eine Rolle spielen, macht es für ein einzelnes klinisches Zentrum oder Labor unmöglich, das gesamte Spektrum molekulargenetischer Diagnostik abzudecken. Dabei ermöglicht eine präzise Diagnose Vorhersagen zu Verlauf und Prognose der Erkrankung, hat Einfluss auf die Berufswahl des Patienten, dient der Prävention von Komplikationen (respiratorische Insuffizienz, Herzrhythmusstörungen, Kardiomyopathie), ist Voraussetzung jeder genetischen Familienberatung, einer eventuellen Pränataldiagnostik sowie für den Einschluss des Patienten in klinische Studien und für künftige molekulare Therapieformen. Die Diagnostik sollte schrittweise erfolgen, Grundlage ist eine ausführliche Anamnese einschließlich Familienanamnese (Beginn distal/proximal, Kontrakturen, kardiale/pulmonale Beteiligung, Erbgang rezessiv/dominant/X-chromosomal). Bei der körperlichen Untersuchung sollten Schweregrad und Verteilungsmuster der Paresen besondere Beachtung finden. Ferner ist die Bestimmung der Kreatinkinase (CK) im Serum sowie eine elektromyographische Untersuchung (pathologische Spontanaktivität, myopathisches Muster) sinnvoll. Myosonographie und Kernspintomographie helfen bei fortgeschrittenen Paresen und Atrophien eine zur diagnostischen Muskelbiopsie geeignete Stelle zu finden. Bei informativer Familienstruktur hilft eine Kopplungsanalyse (Haplotypisierung) Genorte auszuschließen oder einzugrenzen, so dass im Anschluss die gezielte Untersuchung eines oder weniger Gene auf Mutationen erfolgen kann (Rocha et al., 2010).

In einigen Fällen ist eine primäre molekulare Diagnose unter Umgehung der Muskelbiopsie möglich. So kann bei etwa 60% der Dystrophinopathien mit typischem Phänotyp (DMD/BMD) eine größere Deletion/Duplikation nachgewiesen werden. Neue molekulare Methoden haben die Treffsicherheit noch erhöht: Auch bei der FSHD, den Myotonen Dystrophien Typ 1 und 2 (DM1, DM2/PROMM), der OPMD, den Emery-Dreifuss-Dystrophien (EMD1, EMD2 / LGMD1B) und bei der LGMD2I ist eine primäre genetische Diagnostik bereits Routine. Bei allen anderen MD-Formen kann eine genetische Primärdiagnostik weiterer Familienmitglieder erfolgen, sobald die Diagnose eines betroffenen Familienmitglieds molekulargenetisch gesichert wurde.

Histologisch führt die Muskelbiopsie zur Bestätigung der Diagnose „Muskeldystrophie“ oder zum Ausschluss anderer, gegebenenfalls kausal behandelbarer Diagnosen. Mittels ausführlicher Proteindiagnostik (Immunhistochemie, Western-Blot) lassen sich Defekte MD-assoziierter Proteine nachweisen. Häufig erlaubt das Ergebnis eine spezifische Einordnung der jeweils vorliegenden Muskeldystrophie, oft ist aber die Kombination von Proteindiagnostik und molekulargenetischer Analyse von entscheidender Bedeutung. Fallen all diese Untersuchungen negativ aus, so muss die Einordnung der MD insbesondere im sporadischen Fall und bei kleinen Familien vorerst offen bleiben. Die definitive Diagnose wird erst dann möglich, wenn die defekten Gene und Proteinprodukte charakterisiert sind.

Eine deutschlandweite Übersicht mit Laborstandorten und Adressen zur genetischen Diagnostik bei Muskeldystrophien bietet das Muskeldystrophie-Netzwerk MD-NET.

Therapiemöglichkeiten

Symptomatische Therapie

Obwohl bislang keine kausale Therapie zur Verfügung steht, haben sich Lebenserwartung und –qualität der MD-Patienten in den letzten Jahren verbessert. Hierzu tragen vornehmlich symptomatische Therapien und Hilfsmittel bei, das oberste Ziel sollte die Verbesserung der Lebensqualität sein. Hierzu gehören:

  • Physiotherapie
  • Hilfsmittelversorgung, besonders Orthesen- und Rollstuhlversorgung
  • Ggf. heilpädagogische, logopädische Förderung oder Ergotherapie in Abhängigkeit des Entwicklungsstandes
  • Orthopädische Mitbetreuung, kontrakturlösende Eingriffe und bei Gehunfähigkeit Korrektur von Wirbelsäulendeformitäten
  • Kardiologische Betreuung und symptomatische Therapie, z.B. bei Kardiomyopathien
  • Regelmäßige pulmonologische Diagnostik einschließlich Bodyplethysmographie (Vitalkapazität) und/oder bei jüngeren Kindern die Polysomnographie. In Abhängigkeit des Ausmaßes der restriktiven Ventilationsstörung ggf. die nicht-invasive Beatmung oder Beatmung über ein Tracheostoma. Hier zeigen neue Daten, dass der frühzeitige Einsatz der nicht-invasiven Beatmung entscheidend die Symptome und die Lebensqualität verbessern können.
  • Bei Problemen bei der Nahrungsaufnahme Anlage einer PEG-Sonde
  • Bei zerebralen Krampfanfällen/Epilepsie entsprechende antikonvulsive Therapie
  • Ophthalmologische Betreuung
  • Humangenetische Beratung und ggf. Pränataldiagnostik

Pharmakotherapie

Kortikosteroide

Bei DMD gelten orale Kortikosteroide wie Prednison und Deflazacort derzeit als pharmakotherapeutischer Standard. Randomisierte klinische Studien mit oraler Prednisongabe konnten eine Verbesserung der Muskelkraft und –funktion bei Patienten mit DMD belegen, die sich durch verlängerte Gehfähigkeit und eine niedrigere Prävalenz von Skoliosen widerspiegeln. Mit der Einnahme einer täglichen Dosis von 0,75 mg/kg KG Prednison wird normalerweise im Alter von 4-6 Jahren begonnen und meistens bis zum Verlust der Gehfähigkeit weitergeführt. Bei schweren Nebenwirkungen unter der Therapie mit Kortikosteroiden (Gewichtszunahme, Wachstumsverzögerung, Osteoporose, Katarakt, Verhaltensauffälligkeiten) sollten alternierende Gaben oder eine Reduktion der Dosis erwogen werden. Im Vergleich mit Prednison scheinen Nebenwirkungen unter Deflazacort seltener aufzutreten, zudem hat Deflazacort wahrscheinlich einen kardioprotektiven Effekt. Eine große multizentrische, randomisierte Studie, die unterschiedliche Therapieregime mit Prednison und Deflazacort vergleicht, ist derzeit in Planung.

Der exakte Wirkmechanismus der Kortikosteroide ist unklar; es werden membranstabilisierende und antiinflammatorische Effekte diskutiert. Bei anderen MD-Formen wurden Kortikosteroide bislang nicht systematisch getestet, wenngleich Fallschilderungen auch bei einigen Sarkoglykanopathien ein klinisches Ansprechen auf Kortikosteroide beschreiben. Die immunsuppressive Wirkung ist offenbar kein bestimmender Faktor, da andere Immunsuppressiva wie Azathioprin in kontrollierten Studien kaum nennenswerte Effekte brachten.

Cyclosporin A

Das Muskeldystrophie-Netzwerk (MD-NET) ist ein vom BMBF geförderter Forschungsverbund für neuromuskuläre Erkrankungen. Im Rahmen dieses Netzwerkes wurde aktuell eine multizentrische plazebo-kontrollierte doppelt-blinde Studie zum Effekt von Cyclosporin A bei Patienten mit Muskeldystrophie Duchenne durchgeführt. An den 11 teilnehmenden Zentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz nahmen insgesamt 153 gehfähige Patienten an der Studie teil. Zunächst erhielten die Patienten über einen Zeitraum von drei Monaten Cyclosporin A (3,5-4 mg/kg Körpergewicht) oder Plazebo. Danach wurden alle Patienten zusätzlich für zwölf Monate mit intermittierendem Kortison (0,75 mg/kg Körpergewicht Prednison, jeweils 10 Tage mit anschließender 10tägiger Pause) behandelt. Cyclosporin A wurde zwar gut vertragen, konnte aber weder als Monotherapie noch in Kombination mit intermittierender Steroidgabe die Muskelkraft oder funktionelle Fähigkeiten bei gehfähigen DMD Patienten verbessern.

Kreatinmonohydrat und Beta-2-Sympathomimetika

Die Therapie mit Nahrungsergänzungsmitteln (z.B. Kreatinmonohydrat) und Beta-2-Sympathomimetika kann im Einzelfall sinnvoll sein, Studien bestätigten eine geringe, aber signifikante Verbesserung der Kraft bei Patienten mit verschiedenen Muskeldystrophien (Duchenne, Becker, LGMD, FSHD).

ACE-Hemmer und Beta-Blocker

Im Rahmen eines internationalen Workshops des European Neuromuscular Center (ENMC) wurden vor kurzem Leitlinien zur Behandlung einer kardialen Beteiligung bei verschiedenen Muskeldystrophien festgelegt. Bei den Dystrophinopathien (DMD/BMD) ist die dilatative Kardiomyopathie häufig. Alle Patienten sollten daher zum Zeitpunkt der Erstdiagnose sowie vor jedem chirurgischen Eingriff, Patienten mit DMD ausserdem bis zum Alter von 10 Jahren alle 24 Monate, ab dem Alter von 10 Jahren alle 12 Monate ein EKG und ein UKG erhalten. Bei Patienten mit BMD genügt ein Screening auf Kardiomyopathie alle 2 Jahre. Sobald sich Abnormitäten zeigen, sollten die Patienten mit ACE-Hemmern und zusätzlich ggf. mit Beta-Blockern behandelt werden. Bei DMD-Patienten kann durch prophylaktische Behandlung mit dem ACE-Hemmer Perindopril die Entwicklung einer linksventrikulären Dysfunktion verzögert werden.

Molekulare Therapie

Stop-Codon-Readthrough (Aminoglykosidantibiotika)

1999 konnte in einer Studie gezeigt werden, dass Nonsensemutationen, die zu prämaturen Stop-Codons, und damit zum Abbruch der Translation führen, nach Gabe von Gentamycin sowohl bei Myotuben in vitro als auch bei mdx-Mäusen in vivo überlesen werden. Dadurch kommt es zur Expression funkioneller Dystrophin-Moleküle und zur teilweisen Wiederherstellung der Muskelfunktion. In einer Studie mit vier Dystrophinopathie-Patienten konnte jedoch kein positiver Effekt erzielt werden, wenngleich die erreichten Aminoglykosid-Serumspiegel denen der mdx-Mäuse entsprachen. Es scheint, als seien bestimmte Nonsensemutationen refraktär gegenüber der Suppression mit Aminoglykosiden. Nur bei maximal 10-20% der DMD-Patienten ist eine der mdx-Maus vergleichbare Nonsensemutation ursächlich für die Erkrankung. Der bislang beim Menschen nicht belegte therapeutische Effekt müsste zudem gegen die Nebenwirkungen (z.B. Hörverlust und Nephrotoxizität) abgewogen werden.

Stop-Codon-Readthrough (Translarna™, Wirkstoff: Ataluren)

Über einen ähnlichen Mechanismus wirkt auch das Medikament Ataluren (Handelsname TranslarnaTM). Während der Translation führt die Bindung des Wirkstoffs an die RNA dazu, dass das Ribosom das vorzeitige Stopp-Kodon überlesen kann. Das Ribosom erhält nicht mehr die Information zum Stopp, sondern liest vielmehr während der Translation normal weiter bis zur korrekten Endstelle. So kann wieder ein funktionsfähiges Protein gebildet werden. Untersucht wurde dieses Medikament bereits in einer 48-wöchigen multizentrischen, internationalen, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Studie mit 174 DMD-Patienten mit dem 6-Minuten-Gehtest als primärem Outcome-Parameter. Ergebnisse dieser Studie sprechen für eine Verzögerung der Erkrankungsprogression in der Ataluren-behandelten Gruppe, bei diesen Patienten war nach einem Behandlungsjahr eine längere Gehstrecke innerhalb 6 Minuten messbar als bei den Placebo-behandelten Patienten (Bushby K et al, Muscle Nerve 2014). Aufgrund dieser Ergebnisse erhielt das Medikament die bedingte Zulassung der Europäischen Behörden zur Behandlung von Duchenne Muskeldystrophie. Weitere Studien folgen. Seit dem 23.07.2018 kann dieses Medikament Patienten mit DMD mit Nonsense-Mutationen (ca. 13% der DMD-Patienten tragen Nonsense-Mutationen), die noch gehfähig und älter als 2 Jahre sind, von Ihrem Arzt oder Muskelzentrum verschrieben werden.

Exon-Skipping durch Antisense-Oligonukleotide

Eine Strategie, um auf molekularer Ebene in den Krankheitsprozess bei DMD einzugreifen, stellt die Verwendung sogenannter Antisense-Oligonukleotide (AON) dar. Diese sind so konstruiert, dass sie durch Bindung an die eine Mutation flankierenden Exons die Korrektur des translationalen Leserahmens bewirken. Liegt bei einem betroffenen Patienten eine Deletion eines oder mehrerer Exons des Dystrophin-Gens vor, sodass durch Verschiebung des Leserahmens die Bildung funktionsfähiger Dystrophinmoleküle verhindert wird, kann auf diese Weise ein trunkiertes, aber funktionales Protein gebildet werden, das dann dem Bild einer BMD entspricht. Deletionen und Duplikationen von ganzen oder sogar mehreren Exons stellen die häufigste genetische Ursache von DMD dar, sodass diese Therapiestrategie bei einem großen Teil dieser Patienten angewandt werden kann. Bei direkter intramuskulärer Injektion von AON in mdx-Maus-Muskel konnte eine signifikante Steigerung der Anzahl Dystrophin-positiver Fasern nachgewiesen werden; die Expression hielt ca. 2 Monate an und hatte einen Kraftzuwachs zur Folge, ohne dass nachteilige Immunreaktionen registriert wurden. Mittels systemischer Applikation von AON in Adeno-assoziierten Vektoren konnte sogar eine Dystrophin-Expression in 50-80% der Muskelfasern erwachsener mdx-Mäuse nachgewiesen werden. In einer kürzlich durchgeführten klinischen Studie mit AON, die lokal in den M. tibialis anterior von 4 DMD-Patienten injiziert wurden, konnte 28 Tage später erfolgreich eine Expression von Dystrophin nachgewiesen werden. Durch die limitierte Halbwertszeit der AON, der mRNA und des Dystrophins muss die Behandlung in regelmäßigen Abständen wiederholt werden. Klinische Studien mit systemischer Applikation von AON bei DMD sind derzeit in Planung. Die Anwendung bei anderen hereditären Myopathien ist allerdings eingeschränkt, da dort in den meisten Fällen keine Deletionen, sondern Punktmutationen vorliegen.

Morpholinos

Morpholino-Oligos oder kurz Morpholinos sind Nukleinsäure-Analoga, die als Werkzeuge in der Molekularbiologie verwendet werden, um einen Knockdown von Genen zu erzielen. Morpholinos können im mRNA-Splicing-Prozess interferieren, indem sie die Formation des nukleären Ribonucleoproteinkomplexes (snRNP) verhindern oder mit den Bindungsstellen für andere regulatorische Proteine interagieren. Sie vermitteln den Ausschluss von Exons von der reifen mRNA ähnlich wie AONs, haben aber aufgrund ihrer unnatürlichen Struktur einen Vorteil gegenüber AONs, da sie von zellulären Proteinen nicht erkannt und von Nukleasen nicht abgebaut werden, keine Immunantwort erzeugen und die DNA-Methylierung nicht modifizieren. Morpholinos wurden bereits zur Induktion von Exon-Skipping bei jungen mdx-Mäusen eingesetzt, es wurde ein Rückgang des Anteils an Fasern mit zentralen Kernen und der Infiltration von Entzündungszellen beobachtet, vergleichbar zu den mit AON erzielten Ergebnissen. Allerdings sind noch entsprechende Studien zur Sicherheit von Morpholinos für den Einsatz bei Patienten nötig.

Virale Vektoren

Die Möglichkeit, DMD durch verschiedene virale Vektoren mittels Gentransfer zum dystrophen Muskel zu behandeln, hat in den letzten Jahren große Hoffnungen geweckt. Adenovirale Vektoren sind frei von viralen Genen und haben eine große clonogene Kapazität, sind aber schwierig herzustellen und persistieren nicht dauerhaft im Muskel. Adeno-assoziierte Viren (AAV) sind kleine, nicht umhüllte einsträngige DNA-Viren, die zur Replikation eine Co-Infektion mit einem Helfervirus benötigen und über eine kleinere clonogene Kapazität (5kb) verfügen. Die meisten heute gebräuchlichen Vektoren sind ummantelte RNA-Retroviren. Lentivirale Vektoren können maximal 9 kb Cargo-DNA aufnehmen, ausreichend für z.B. Minidystrophin, Marker und Promotoren, die für die Expression benötigt werden. Sie können die Kernmembran durchqueren und sich in Wirtszellchromosomen integrieren. Ihre Biosicherheit wurde durch die Entwicklung selbst-inaktivierender Vektoren verbessert. Des Weiteren transduzieren und exprimieren diese Vektoren Transgene stabil in verschiedenen Zelltypen, und gelten als System der Wahl für zellbasierten Gentransfer. Lentivirale Vektoren wurden bereits in den ersten Genersatzexperimenten bei DMD eingesetzt, in denen versucht wurde, proliferierende Myoblasten in vitro oder in vivo mittels direkter Injektion eines Mini-Dystrophin-tragenden murinen Retroviruses zu transduzieren. Allerdings war dieser Ansatz durch das Auftreten immunologischer Probleme limitiert. Verbesserte Technologien erlaubten den Gebrauch von Lentiviren als geeignetste Vektoren zur Transduktion einer Reihe von Gewebs- und Zelltypen. Allerdings zeigten sich auch ernstzunehmende Probleme hinsichtlich Biosicherheit dieser Vektoren und der Gefahr schädlicher aktivierender oder inaktivierender Insertionen. Fünf Patienten mit schwerer X-chromosomaler kombinierter Immundefizienz (X-SCID) entwickelten eine Leukämie im Anschluss an eine Studie mit retroviraler Gentherapie, in Folge einer Insertion des gentragenden Retrovirus in der Nähe eines Onkogens. Konsequenterweise richteten sich Folgeexperimente in Richtung eines genaueren Verständnisses von Integrationsmustern von Retroviren und der molekularen Mechanismen, die die Wahl der Integrationsstelle regulieren, unverzichtbar zum Design sicherer und effektiver Gentransfervektoren. Dennoch könnten lentivirale Vektoren gut für ex vivo Gentherapiestrategien, z.B. Transfer des Dystrophingens in von DMD Patienten isolierte Stammzellen geeignet sein.

Myogene Stammzellen

In den letzten Jahren hat sich die Aufmerksamkeit auf Stammzellen als Quelle für Spendermyoblasten mit hoher Replikationsfähigkeit gerichtet, die das Überleben der Spenderzellen und ihre Fähigkeit zu Expansion und Fusion mit dystrophen Muskelzellen verbessern soll. Verschiedene Formen von Stammzellen wurden zur Behandlung der Muskeldystrophie bereits auf Zellkulturebene untersucht, allerdings gibt es noch keine Studien zur Frage eines funktionellen Wirkungsnachweises beim Menschen. Stammzellen haben den Vorteil, dass nur eine kleine Anzahl von Zellen sowie ein entsprechendes Stimuationssignal zur Expansion nötig ist, um einen therapeutischen Effekt zu erzielen, und dass eine systemische Verabreichung möglich ist.

Forschung, klinische Studien und Patientenregister

Die Forschungsprojekte des Instituts zu Muskeldystrophien umfassen Genotyp-/Phänotyp Korrelationen bei verschiedenen MD-Subtypen, insbesondere bei Gliedergürteldystrophien (LGMD), klinische Studien bei verschiedenen Muskeldystrophieformen sowie molekulare Therapien (siehe den Bereich Forschung).

Im Rahmen des im 6. EU Rahmenprogramm geförderten Projekts TREAT-NMD werden weltweit Patientenregister eingerichtet, um die Planung und Durchführung von multizentrischen klinischen Studien zu erleichtern. Das Register für deutsche und österreichische Patienten mit Muskeldystrophie Duchenne, Becker oder Spinale Muskelatrophie sowie das internationale Register für Patienten mit FKRPopathien (MDC1C/LGMD2I) befindet sich am Friedrich-Baur-Institut. Die Registrierung erfolgt online unter www.dmd-register.dewww.sma-register.de bzw. www.fkrp-register.de.

Ansprechpartner im Institut

Prof. Dr. Maggie C. Walter