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Mitochondriale Erkrankungen

Klinische Symptomatik

Defekte der Mitochondrien führen zum Versagen des zellulären Energiestoffwechsels und spielen heute eine wichtige Rolle in der pädiatrischen und neurologischen Klinik, wobei die Prävalenz dieser Erkrankungen immer noch schwer abzuschätzen ist (ca 1:5.000).

Atmungskettendefekte zählen zu den klassischen und best untersuchten mitochondrialen Erkrankungen. Primäre Atmungskettendefekte betreffen entweder die Strukturuntereinheiten der Atmungskette selbst oder übergeordnete Faktoren. Sie bedingen einen primären zellulären Energiemangel (ATP-Mangel) und führen in vielen Fällen zu progredienten neurodegenerativen Krankheitsbildern. Atmungskettendefekte sind klinisch äußerst heterogen. Organe mit hohem Energieumsatz, d.h. ZNS, Skelettmuskel und Herz werden dabei am häufigsten in Mitleidenschaft gezogen. Häufige Symptome von Seiten der Muskulatur sind daher Muskelschmerzen bei Belastung, CK-Erhöhung, Muskelfaser-Zerfall (Rhabdomyolysen) mit dunkel gefärbtem Urin und Gefahr der Nierenschädigung, aber auch Muskelschwäche (Paresen) und Muskelschwund (Atrophie). Häufige Zusatzsymptome sind Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus), Erblindung (Retinopathie), Neuropathie, Taubheit, Herzrhythmusstörungen und andere.

Dreizehn Untereinheiten der Atmungskettenkomplexe werden in den Mitochondrien von einer eigenen Transkriptions- und Translationsmaschinerie hergestellt und mithilfe weiterer Proteine in die mitochondriale Innenmembran inseriert, während die vom Kerngenom kodierten Proteine durch komplexe Prozesse über beide mitochondriale Membranen hinweg transloziert und an ihre endgültige Position geleitet werden müssen (siehe Abbildung). Das erklärt, dass Gendefekte im Falle eines Atmungskettendefektes nicht nur auf die 13 mitochondrial bzw. mehr als 70 nukleär kodierten Strukturkomponenten selbst beschränkt sind.

In der letzten Dekade sind mehr als 200 verschiedene Mutationen der mtDNA, sowie Defekte zahlreicher nukleärer Gene beschrieben worden, die primäre Atmungskettendefekte bedingen und z.T. sporadisch auftreten, aber auch maternal, autosomal-rezessiv, autosomal-dominant oder X-chromosomal vererbt werden können. Die klinische und genetische Heterogenität stellt somit eine besondere Herausforderung – sowohl für Diagnostik, als auch für die genetische Beratung dar.

Einige mitochondriale Erkrankungen, die sich vorwiegend durch Symptome in der Muskulatur äussern, sollen hier kurz dargestellt werden:

Myoclonus Epilepsie mit Ragged Red Fasern (MERRF)

Bei MERRF leiden die Patienten an Symptomen wie myoklonischer und tonisch-klonischer Epilepsie, mitochondrialer Myopathie, neurosensorischer Taubheit, Ataxie und Demenz. Typisches histologisches Korrelat dieser mitochondrialen Erkrankung im Muskel ist die „ragged red fiber“ (RRF). Die häufigste Ursache des MERRF-Syndroms ist die 8344A>G Mutation im mtDNA-tRNA-Lys-Gen. Daneben gibt es progressive Myoklonusepilepsien mit oder ohne RRF, die mit weiteren Mutationen in der mtDNA assoziiert sein können (z.B. ND5, weitere tRNA Gene). Autosomal vererbte Mutationen des nukleär kodierten POLG1-Gens wurden bei Patienten mit typischem MERRF-Syndrom ebenfalls beschrieben. Bei diesen Patienten findet man häufig multiple mtDNA Deletionen in Muskel-DNA.

Chronisch Progressiven Externen Opthalmoplegie (CPEO)

Eine isolierte okuläre Symptomatik (Lähmung der Augenmuskeln und hängende Augenlider) findet sich bei der CPEO. Wenn weitere Symptome damit vergesellschaftet sind, spricht man von einer CPEO+ bis hin zur schwersten Form, dem Kearns-Sayre-Syndrom (KSS), welches zusätzlich zur okulären Myopathie mit Retinopathie, Laktatazidose, neurosensorischer Taubheit, Ataxie, Kardiomyopathie, kardialen Reizleitungsstörungen, erhöhter Liquorproteinkonzentration und Demenz vergesellschaftet sein kann. Der Krankheitsbeginn ist variabel (Kindes- bis hohes Erwachsenenalter). Diese Krankheitsbilder sind häufig von singulären Deletionen der mitochondrialen DNA verursacht. Die Deletionen können verschieden große Teile der mitochondrialen DNA betreffen; sie treten mit wenigen Ausnahmen spontan auf. Bei diesen Krankheitsbildern müssen differentialdiagnostisch autosomal-dominante (ANT1, Twinkle, POLG1), sowie autosomal-rezessive Vererbungsformen (POLG1) in Betracht gezogen werden. Diese gehen in der Regel mit multiplen Deletionen der mtDNA einher.

Rhabdomyolyse

Rhabdomyolyse ist ein häufiges klinisches Syndrom, verursacht durch akute Muskelfasernekrose und Freisetzung von Muskelenzymen in das Blut und führt zur Myoglobinurie. Die Myoglobinurie kann in 15% der Patienten akute Niereninsuffizienz verursachen. Der Hintergrund der Rhabdomyolyse ist sehr heterogen. Genetische Krankheiten, Toxine, Überbelastung des Muskels oder inflammatorische Prozesse können Rhabdomyolyse verursachen. Der genetische Hintergrund bei Rhabdomyolysen ist sehr heterogen. Autosomal rezessive Mutationen im Carnitine-Palmitoyltransferase-Gen (CPT2) oder im Muskel-Glycogen-Phosphorylase-Gen (PYGM) wurden bei Patienten beschrieben. Als weitere genetische Ursache bei Patienten mit mitochondrialer Myopathie und Rhabdomyolyse wurden mtDNA-Mutationen in Cytb-, ND- und tRNA-Genen gefunden.

Leigh-Syndrom (LS)

Das LS oder „subakute nekrotisierende Enzephalomyelopathie“ geht auf den Pathologen D. Leigh zurück, der die typische Gehirnmorphologie mit symmetrischen Basalganglien- und Hirnstammnekrosen 1951 zum ersten Mal beschrieb. Das LS ist eine der häufigsten kindlichen mitochondrialen Erkrankungen. In ca. 70% der Fälle ist das LS mit primären Atmungskettendefekten assoziiert, in weiteren 15-20% mit einem Pyruvatdehydrogenase-Mangel. Neben dem typischen Leigh-Syndrom gibt es eine Reihe von Atmungskettenerkrankungen, die mit Läsionen in den Basalganglien, aber auch der weißen Substanz einhergehen. Dabei finden sich z.B. Demyelinisierungserscheinungen sowie zerebrale und zerebelläre Atrophien. Es können sich dabei auch Demyelinisierungen peripherer Nerven mit anschließender neurogener Muskelatrophie zeigen. Zusätzlich zu den ZNS-Veränderungen sind oft weitere Organe in Mitleidenschaft gezogen, wie z.B. Herz, Leber, Niere u.a. Da eine Vielzahl von ursächlichen Genmutationen aufgedeckt werden kann, ist eine gezielte molekulargenetische Pränataldiagnostik möglich. Hervorzuheben ist ein Krankheitsgen, SURF1, welches in relativ vielen Fällen von LS und Komplex IV-Defekt betroffen ist. Mutationen in sehr vielen verschiedenen Genen können das Leigh Syndrom verursachen und nur die biochemische Analyse kann die Zahl der fraglichen Gene bei einzelnen Patienten einschränken. Die molekularen Ursachen der Leigh-like Syndrome sind zum Teil noch unbekannt. In der Regel hilft die Bestimmung der Atmungskettenenzyme im Skelettmuskel, die molekulare Ursache des LS einzugrenzen und gezielte genetische Diagnostik anzuschliessen.

Diagnostik

Gewebenetnahme/Muskelbiopsie

In Kooperation mit genetischen Instituten führen wir eine umfassende Diagnostik für mitochondriale Erkrankungen durch. Die Durchführung einer Muskelbiopsie ist bei den meisten mitochondrialen Erkrankungen notwendig. Im Friedrich-Baur-Institut werden die Muskelbiopsien der Patienten histologisch und biochemisch untersucht. Bis heute gilt der histologische Nachweis vermehrt auftretender „ragged red fibers“ im Skelettmuskelbioptat als charakteristisch für eine mitochondriale Myopathie. Des weiteren ist die Bestimmung der Aktivitäten der Atmungskettenenzyme in vielen Fällen erforderlich. Die histologischen und biochemischen Ergebnisse ermöglichen gezielte molekulargenetische Analysen. Aus dem Muskel wird DNA (Erbmaterial) isoliert. Bei Deletion(en), Depletion oder einigen Punktmutationen der mtDNA ist die genetische Analyse der DNA aus dem Muskel aussagekräftiger als aus Blutzellen gewonnene DNA.

Therapiemöglichkeiten

Die Ursache mitochondrialer Krankheiten, d.h. mitochondriale oder nukleäre Gendefekte, sind bislang noch nicht therapierbar. Bei vielen Krankheiten gibt es jedoch symptomatische Therapieoptionen. Bei primärem CoQ10-Mangel (siehe Forschungsprojekte) verbessert sich der Zustand der Patienten durch Einnahme von CoQ10 deutlich bis zur Symptomfreiheit. Bei Patienten mit sporadischen mtDNA-Mutationen (nur in Muskel-DNA nachweisbar) kann ein aerobes Training die Muskelkraft verbessern. Verschiedene Symptome und Komplikationen (Epilepsie, Diabetes mellitus, Schlaganfälle, Herzrhytmusstörungen, hormonale Störungen etc.) können mit Medikamenten oder anderen Maßnahmen (Schrittmacher) behandelt oder verhindert werden. Die Korrektur der Ptose ist durch eine Operation (Blepharoplastik) möglich.

Forschung und klinische Studien

Die Forschungsprojekte des Instituts zu mitochondrialen Krankheiten konzentrieren sich derzeit auf das mitochondriale DNA Depletionssyndrom und den primären Coenzym Q10-Mangel.

Das Institut beteiligt sich an klinischen Studien zu Friedreich-Ataxie und Leber'sche hereditäre optische Neuropathie unter Leitung von Prof. Dr. Thomas Klopstock.

Ansprechpartner im Institut

Prof. Dr. Thomas Klopstock
Ira Brandstetter