Klinikum Universität München // Jahresbericht 2014 - page 55

Kinder-und Jugendmedizin
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BlutschwämmevonKindern werden
jetztnichtmehroperiert, sondern
mit einemMedikament effektivbe­
handelt.
Blutschwämme sindeinhäufiges
Phänomen:Drei bis fünfProzent aller
Kinderwerdenmitdiesen rot schim-
mernden,gutartigenTumorengeboren.
Weitüber90Prozentverschwinden
vonallein. „Aber esgibtBlutschwäm-
me, diebleibenunddazunoch sehr
großoder störend sind“, sagtProf.
DietrichvonSchweinitz,Direktorder
KinderchirurgischenKlinik.Oder,
wenn sieamAugenlid sitzen, behin-
dern sie sogardieSicht.
In solchenFällengriffendieÄrzte
bis vorKurzemnochzuSkalpell oder
Laser.Dieentsprechende Entfernung
derBlutschwämmeklappt zwar
hervorragend,hinterlässtaber Narben.
JetztaberwerdendieKinder schonen-
der behandelt:mit einem Medikament,
dasursprünglich fürPatientenmit
Herzschwächeentwickelt wurde. Dieses
Propanolol habenunter anderemdie
ÄrztederKinderchirurgischenKlinik
mehrere Jahre lang ineinerStudiebei
ihrenPatientengetestet. Ergebnis: „Es
wirkt fast immer“,wievonSchweinitz
erklärt, „binnen wenigerTagebeginnt
dieRückbildungder Blutschwämme.“
DieKinder bekommenes mehrere
Wochen langalsSaft. Säuglingebiszum
sechsten MonatmüssenzuBeginn
derTherapie allerdings zweiTage lang
inder Klinik bleiben, bisdie
optimale,
nebenwirkungsarmeDosis eingestellt
ist. Insgesamt alsoeine schonende
underfolgreicheBehandlungohneNar-
ben, „durchdiewiruns selbstabge-
schaffthaben“,wieder Kinderchirurg
feststellt.
»Wirhabenunsselbst
Abgeschafft«
L
ebertumorenkleinerKindersindge-
netisch viel einfacher gestrickt als
die von Erwachsenen“, sagt Prof.
Roland Kappler von der Klinik für Kin-
derchirurgie.Das ist eineder zentralenEr-
kenntnisse des Teams um den Forscher,
dasdiegesamtenGene indenKrebszellen
derKinder untersucht hat. DasZiel: zuer-
kennen, welche Gene verändert sind und
ob diese Mutationen die Entstehung der
„Hepatoblastome“erklärenkönnen.
Die Münchner Forscher können derlei
Spitzenforschung betreiben, weil sie ers-
tens trotz der Seltenheit dieser Krebsart
Tumormaterial vieler Patienten zurVerfü-
gung haben – bedingt durch dieOperati-
onen im eigenenHause. Zweitens haben
sieZugangzumodernstenTechniken,mit
denensich„ineinemRutsch“alleGene in
einer Zelle Buchstabe für Buchstabe un-
tersuchen lassen. So kann manMutatio-
nen inwichtigen krebsförderndenGenen
auf dieSpur kommen.
Ergebnis: NurwenigeGene indenZellen
des Hepatoblastoms sind krankhaft ver-
ändert. Dennoch kommen einige Muta-
tionen „gehäuft“ vor, wie Kappler sagt.
Vor allem das Gen für das Protein „Beta-Catenin“ im „Wnt-Signalweg“ der Zellen
ist in 85 Prozent aller Patienten mutiert,
und zwar an ganz speziellen Stellen des
Gens.Aber:DieseundandereMutationen
indenwenigenweiteren verändertenGe-
nen genügen nicht, um den Tumor voll-
endswachsen zu lassen.
Höchstwahrscheinlich kommen mithin
„epigenetische“ Faktoren hinzu, die die
Krebsentstehung vorantreiben. Das sind
keine Veränderungen der DNA-Sequenz
selbst, sondern chemische Modifikationen
derDNA inFormvonsogenanntenMethy­
lierungen. Diese Veränderungen beein-
flussen die Aktivität von Genen, schalten
sie (länger) an oder ab. Die Münchner
Forscher schauen sich jetzt genau an,
an welchen Stellen im Erbgut auffällige
Methylierungsmuster der DNA vorkom-
men,möglicherweise inderNähevonGe-
nen, die das Wachstum von Zellen kon-
trollieren. ErsteKandidaten, diewährend
der Embryonalentwicklung eine wichtige
Rolle spielen, sindbereits inVerdacht.
Die Studien sollen jetzt auf internationa-
ler Ebene mit mehr Patienten fortgesetzt
werden. Das Ziel ist klar: Zum einen gilt
es, Ansatzpunkte für neueMedikamente
gegendiese kindlichenLebertumoren zu
finden. Das mutierte und damit überakti-
veBeta-Catenin-Gen ist ein erster solcher
Ansatzpunkt. Zum anderen fordert die
moderne Krebstherapie sogenannte Bio-
marker „für eine risikoangepasste Thera-
pie“, wie Kappler betont. Biomarker sind
messbare biologische Eigenschaften, die
den Ärzten in diesem Fall anzeigen, wie
aggressiv sie einen individuellen Tumor
behandeln sollten. Das würde manchen
Kindern Nebenwirkungen einer hoch-
dosierten Chemotherapie ersparen. Eine
kürzlich lancierte Studiemit Kollegen aus
Frankreich und Spanien hat bereits ei-
nen ersten vielversprechenden Marker
geliefert.
»DiemoderneKrebstherapie
fordertBiomarker«
KinderchirurgenbetreibenauchgenetischeForschung.
SiehabenbeispielsweiseVeränderungen imErbgut von
kindlichenLebertumorenentschlüsselt.
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