Klinikum Universität München // Jahresbericht 2014 - page 59

Kinder-und Jugendmedizin
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»Einfach
nurrationale
Antibiotika-Therapie«
EinSpezialteamhat ineiner Pilotstudieden
Verbrauch vonAntibiotikadrastischgesenkt. DerAufwand
ist hoch –unddasPilot-wird zumDauerprojekt.
SiewarenWunderwaffen–gegenkrankheitserregende
Bakterien, dieAbermillionenMenschengetötet haben:
Antibiotika. Doch „der unbedachte und unnötige Ein-
satzdieserMedikamentekannschwerwiegendeFolgen
für den individuellen Patienten und das gesamte Ge-
sundheitswesen haben“, sagt Prof. Johannes Hübner,
Infektiologe am Haunerschen Kinderspital. Eine der
schlimmsten Konsequenzen: Immer mehr Bakterien-
artenwerden resistent gegen immermehrAntibiotika.
Gegen manche Keime versagen sogar alle der mark-
tüblichen Präparate. Gegen viele helfen nur nochwe-
nige, neuere Breitband-Antibiotika. Sie töten viele
verschiedene Bakterienarten und sind imGrunde ge-
nommendie letzteReservegegenmultiresistenteErre-
ger. Damitwenigstens das sobleibt, solltengerade sie
nureingesetztwerden,wenneswirklichnötig ist. „Vie-
le Kollegenwollen aber zumBeispiel bei jedem hoch
fieberndenKindauseinem falschenSicherheitsbedürf-
nisundderGewohnheitherausaufNummersicherge-
hen und verordnen gerade diese Medikamente“, er-
klärt Hübner. Studien zeigen: Etwa 30 bis 50 Prozent
der Antibiotika-Gaben sindmedizinisch nicht gerecht-
fertigt. Hübner: „Wir schießen da häufigmit Kanonen
auf Spatzen.“
Der Infektiologe und Kinderarzt hat deshalb im Dr.
von Haunerschen Kinderspital eine Pilotstudie ge-
startet, umersteDaten zubekommen, ob sichder un-
nötige Verbrauch von Antibiotika senken lässt. Erste
Maßnahme: die Bildung eines Spezialteams, beste-
hend aus Hübner, einem Assistenzarzt, einem Apo-
theker und einemMikrobiologen aus dem hauseige-
nenmikrobiologischenLabor. Das Teamhat zunächst
detailliert den Verbrauch von Antibiotika und auch
Medikamenten gegen Pilzerkrankungen analysiert.
Das Ergebnis überraschte keineswegs. Denn auch
imHaunerschenwurdenweidlich neuere Breitband-Antibiotika eingesetzt.
Dann begann die eigentliche Arbeit: die „einfach nur
rationaleAntibiotika-Therapie“ inderklinischenPraxis
zu etablieren. Im Klartext: die Kollegen angemessen,
feinfühlig und geschickt davon zu überzeugen, dass
man in den meisten Situationen auf diese wichtigen
Antibiotikaverzichtenkann.DasTeamhatsich fürzwei
Strategienentschieden. Zumeinen rückt es täglichauf
die IntensivstationundeinmalwöchentlichaufdieNor-
malstationen aus und fragt nach: „Habt ihr ein Kind,
das einAntibiotikum bekommt?“ „Wie lange schon?“
„Waswurdedafür anDiagnostikgemacht?“Unddann
diskutiert das Teammit den behandelndenÄrzten, ob
dieses oder jenes Antibiotikumwirklichnochnötig ist:
obmanes absetzen soll.Obnicht einanderesAntibio-
tikum genügt, das nicht zu den Breitband-Präparaten
gehört. Und soweiter. „Und damussmanErfahrung
haben und wissen, dass man nicht gleich bei einer
LungenentzündungeinbreitesCephalosporinbraucht,
sondern dass normalerweise Ampicillin reicht“, sagt
Hübner, „und man muss die wenigen Fälle identifi-
zieren, wo wirklich das Breitband-Antibiotikum ange-
zeigt ist.“
Noch mehr schwört der Infektiologe auf Strategie 2:
sichmitderApothekedesKlinikumszuverbündenund
sich stets melden zu lassen, wann und von wem ein
Reserve-Antibiotikum geordert wurde. Dann kann das
TeamsichgezieltandenbetreffendenArztwendenund
denEinsatzdesbetreffendenAntibiotikumsprüfen.
Lange Rede, kurzer Sinn: „Das Studienprojekt ist ein
durchschlagender Erfolg“,wieHübner sagt, „dieKol-
legen haben sich hervorragend engagiert.“ Der Ver-
brauchvonAntibiotika inderKinderklinikwurdebinnen
Jahresfrist um 30 Prozent gesenkt – mit Kostenein­
sparungen von 330.000 Euro jährlich. Allerdings be-
steht ein Problem: Stoppt man das Projekt, verpuffen
dieEffekte so rasch,wie siegekommen sind. „Umdas
nachhaltig zugestalten,mussmandiesesProjekt dau-
erhaft aufrechterhalten“, betont der Infektiologe. Und
dasgeschieht auch imHaunerschenKinderspital. Jetzt
will erauchmitniedergelassenenKinderärzten inMün-
chen ins Gespräch kommen und die neue Strategie
auchbei ambulantenPatientenetablieren.
»Wir schießendahäufig
mitKanonenauf Spatzen«
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