Klinikum Universität München // Jahresbericht 2014 - page 69

Kinder-und Jugendmedizin
69
Hintergrund
InderVergangenheitwarendieunvorbereite-
tenJugendlicheneherschockiertvoneinerEr-
wachsenmedizin,diesoganzanders istalsdie
Kinder- und Jugendmedizin.Manche kehrten
aus Frust gar wieder ins Haunersche Kinder-
spital zurück. „WirbrauchenunsereKapazitä-
ten aber für neue Patienten und sind deshalb
selbst hier in Not“, schildert Sibylle Koletzko
die Situation. Die Ärztin hat keine Daten da-
rüber, wie viele ihrer ehemaligen Patienten
in der Inneren Medizin des Klinikums blei-
ben und wie viele erst einmal die Behand-
lung abbrechen. Die Kollegen dort seien we-
gen Überlastung auch oft nicht in der Lage,
sichwirklichvorzubereitenoderZeit für lange
Gespräche zu nehmen. Koletzko: „Und dann
bekommen sie unsere psychisch oft schwer
belastetenPatientenund verstehennicht, wie
diese funktionieren.“ Zu Beginn ihres Pro-
jekts hat sie mit ihren Kollegen die „Transi-
tions-Studie“ lanciert.
DieFragen
Wie läuft einGespräch zwischen einemArzt
und einem Patienten mit einer chronisch-entzündlichenDarmerkrankung (CED) inder
Kinderambulanz und wie in der Erwachse-
nenambulanz ab? Wer spricht wie lange mit
wem? Wie genau wird nachgefragt? Und so
weiter.ZweiPsychologinnenhabendas fürPa-
tientenmit CED zeitlich und inhaltlich genau
erfasst. An der Studie nahmen 40 CED-Kran-
ke aus der Kinderambulanz und 40 aus zwei
Erwachsenenambulanzen teil. In Interviews
wurde außerdem ermittelt, was die Patienten
über ihre Krankheit wissen und wie sie das
Arzt-Patienten-Gespräch wahrnehmen – und
diebevorstehendeTransition sehen.
Ergebnis
Der Patientenkontakt in der Kinderambulanz
dauerte imDurchschnitt mit mehr als 28Mi-
nuten fastdoppelt so langewie inderErwach-
senenambulanz. Inder Kinderambulanz spra-
chen die Patienten deutlichweniger Themen
selbst an als in der Erwachsenenambulanz.
60 Prozent der Patienten sprachen kein ein-
zigesThema selbst an.Unddiepädiatrischen
Patienten stellten insgesamt viel weniger Fra-
gen, vor allemwenn die Eltern dabei waren.
Das bedeutet: Den jungen CED-Patienten in
derKinderambulanz sollte frühzeitigmehrEi-
genverantwortung fürdasKrankheitsmanage-
ment – und die Gestaltung des Arztbesuchs
–übertragenwerden, um ihnenund allenBe-
teiligtendieTransition zu erleichtern.
DenResultatenentsprechend
handeltendieÄrzte
–Sie haben separateWorkshops für die jun-
genPatientenbeziehungsweisederenEltern
organisiert (siehe S. 64). Bei diesen Veran-
staltungenwurdendie Jugendlichenauf die
Erwachsenenmedizin und ihr Dasein als
selbstständigePatienten vorbereitet.
–Sie haben die „Transitions-Checkliste“ ent-
wickelt, um strukturiertWissenüberKrank-
heit,Verlauf,MedikationundKrankheitsma-
nagement zu vermitteln.
–Parallel erhaltendiePatienteneinepersönli-
che, selbstständigauszufüllendeCheckliste,
mit der individuell relevantesWissen festge-
halten wird. Zum Beispiel wann die letzte
Darmspiegelungvorgenommenwurdeoder
über die potenziellenNebenwirkungen der
verordnetenMedikamente.
Für das Projekt hat SibylleKoletzko zwei Psy-
chologinnen eingestellt, diemittlerweile etwa
140 Patienten und ihre Familien begleiten.
Allenwurde ein kontinuierlichesKontakt- und
Gesprächsangebot unterbreitet. Viele wurden
auf psychischeStörungengescreent undnach
entsprechender Diagnostik weitervermittelt.
Koletzko nimmt dieses bio-psycho-sozialeBe-
darfsprofil für dieTransition chronischerDar-
merkrankungen sehr ernst und hat in Wei-
terführung ihrer konkreten Erfahrungen ein
Team im interdisziplinärensozialpädiatrischen
Zentrum im Dr. von Haunerschen Kinderspi-
tal (kurz iSPZ Hauner) aufgebaut. So ist eine
hochspezialisierte medizinische Versorgung
mit psychologischer Begleitung der Patienten
mit Kompetenz und Konstanz sichergestellt.
Sie reicht von der Diagnose und über immer
wieder notwendige stationäre Aufenthalte im
Hauner über die ambulante Versorgung im
iSPZ bis zur Transition in die Erwachsenen­
medizin.
»Wirbrauchenunsere
Kapazitätenaber fürneue
Patientenund sinddeshalb
selbsthier inNot«
1.Diagnose
2.Krankheitsverlauf
z.B. ehemaligeSchübe,
Komplikationen
3.Diagnostik
4.Alarmsymptome
z.B.Gewichtsabnahme,blutigeoder
schleimigeDurchfälle
5.RücksprachemitbetreuendemArzt
erforderlichbei folgendenSymptomen:
z.B.Bauchschmerzen,wiederkehrendes
Erbrechen,Müdig-/Appetitlosigkeit
6.Therapie
z.B.Medikamentierung,Arzneimittel-
Unverträglichkeit&-Allergie,
NotfallplanbeivergessenerMedika-
menteneinnahme
7. Impfstatus,Lebendimpfungen,
Grippeimpfungen
8.Sonstiges
z.B.Behindertenausweis,Fernreisen,
DCCV-Selbsthilfegruppen
Transitions-
checkliste
(inAuszügen)
1...,59,60,61,62,63,64,65,66,67,68 70,71,72,73,74,75,76,77,78,79,...132