Klinikum Universität München // Jahresbericht 2013 - page 34

HerzChirurgie
34
Bei derVisiteamMorgen, kurznach
Dienstbeginn um halb sieben, hat
siedenPlandesTageserfahren, den
dieRealität schonzwei Stundenspä-
ter „durcheinandergehauen“ hat,
wie sie es ausdrückt. Ein Patient
musstevon jetzt aufgleich indieRe-
haklinikverlegtwerden. Esgeht ihm
gut. „Da habe ich den zwischen-
durch in einer halben Stunde verle-
gungsfähig gemacht.“ Verlegungs-
brief schreiben, den Fall doku-
mentieren, Equipment für denKran-
kentransport organisieren, den Pati-
ent übergeben. Dannhat sieendlich
ihrenzweitenPatientenversorgt, ihn
gewaschen und rasiert und seine
Verbände gewechselt. „Und dann
hieß es plötzlich: Pauline, du kriegst
einen Zugang. Die 34-Jährige.“ Zü-
gig hat sie den Bettenplatz geputzt
und neu aufgebaut. Alltag auf der
Intensivstation!
„Intensiv heißt, multitask-fähig zu
sein“, betont sie, „wir sind ja hier
nicht nur Schwestern und pflegen
nicht nur.“ Nein, eine Intensiv-
schwester muss fit in vielen Dingen
sein. Sie ist allein verantwortlichda-
für,dassderPatientdieMedikamen-
teordnungsgemäßüberdenzentral-
venösen Katheter bekommt. Sie
muss Laborparameter auswerten:
„Da hilft uns niemand.“ Durch die
intensive Pflege beobachtet sie ihre
Patienten ständig, erkennt so oft
Komplikationen und gibt ihre Infor-
mationen an die Ärzte weiter, die
entsprechendhandelnkönnen.
Und in den erstenMomenten eines
Notfalls,wennesbei einerReanima-
tionum alles geht, ist diePflegekraft
fast immer die erste Person, die am
Krankenbett eintrifft – um die Wie-
derbelebung zu starten. Manchmal,
klagt sie, kommt die klassische Pfle-
ge zu kurz, weil viele Patienten kri-
tisch krank sind. Und es beispiels-
weise wichtiger ist, sie stabil zu
lagern, als sie zu drehen, um sie
fachgerecht zu säubern. „Manmuss
den Patienten wirklich erst retten,
bevorman ihnwäscht.“Wennsiedie
Kranken pflegt, redet sie mit ihnen,
auchwenn sie imKoma liegen. „Die
verstehen was“, ist sie sich sicher,
„und reagieren darauf, wenn ich sie
berühre.“
Dass sie in der „H3A“ im Zweifel
immer vom Tod oder zumindest
dem drohenden Tod umgeben ist,
der auch junge Menschen holen
kann, daran hat sich Andrea Paul
längst gewöhnt. Sie sieht es immer
wieder. Aber abgestumpft ist sie
nicht. „Gefühlskalt sein, das geht
gar nicht“, sagt sie und schon flie-
ßen die Tränen, als sie erzählt, wie
ein noch jüngerer Mann vor ihren
Augen starb und seine Tochter nur
verzweifelt in den Raum fragte:
Was sollen wir denn ohne unseren
Papamachen? „Da kannste einfach
nicht anders, als die Leute in den
Arm zu nehmen und zu trösten“,
sagt sie, „das geht richtig an die
Nieren.“Auch inder technik-domi-
nierten Station steht der Mensch
im Zentrum. „Und nüscht ande-
res!“, sagt sie laut hinein in den
Raum.
Ohne einen privaten Ausgleich,
gibt sie unumwunden zu, „würdest
du den Job hier nicht packen.“
Familie, Kinder,Hobbys. Sobald sie
das Klinikum verlässt, legt sie den
Schalter um. Schnitt! Nur nichts
mit nachHause nehmen: „Das hört
sich vielleicht schlimman, aber nur
so kannste 30 Jahre lang in diesem
Beruf bleiben.“ Um im nächsten
Satz anzufügen, dass sie auf keinen
Fall ineinerNormalstationarbeiten
könnte: „Daswäremir viel zu lang-
weilig.“ Auf gewisse Weise, macht
sieklar, könnte sieohnedieHeraus-
forderung nur schwerlich auskom-
men. Ohne das Gefühl, an einer
Grenze zuarbeiten.Die Intensivpfle-
gebraucht Leute, diedieseHeraus-
forderung suchen. Sie lieben. Die
selbst in einem Umfeld mit einer
MengeTrauerund trotzdesStresses
Spaßandemhaben,was sie tun– so
makaber das klingt.
Und die das wohl kaum vergleich-
bare Gefühl erleben wollen, wenn
immer wieder Patienten aus den
Fängen des Todes gerettet werden.
Und man als Pflegekraft daran be-
teiligt ist. „Dann“, sagt sie und
strahlt, „danngehe ichnachHause,
klopfe mir auf die Schulter und
sage: Gut gemacht, Pauline!“
»ManmussdenPatienten
wirklicherst retten,
bevorman ihnwäscht«
1...,24,25,26,27,28,29,30,31,32,33 35,36,37,38,39,40,41,42,43,44,...122