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AFRIKA

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Ein Blick in die Psychiatrische Klinik der

Jimma University zeigt: Hier hat sich viel getan,

auch dank der Unterstützung der LMU.

ie würde missbraucht,

in jeder Weise“, sagt

Worknesh Tessema über

das Mädchen hinter uns.

Nennen wir es Harab.

Die junge Frau ist 16 Jahre alt. Ihre

Haare sind staubig und zerzaust. Sie

wirkt ängstlich und fahrig, was sich

durch die Gäste aus Deutschland noch

verstärkt. Neugierig ist sie trotzdem

auf die Menschen in diesem Raum in

der Psychiatrischen Klinik in der Jim-

ma University. Zuweilen schleicht sich

ein Lächeln in ihr Gesicht. Harab leidet

an Schizophrenie. Ihre Familie hat sie

wegen ihrer Erkrankung verstoßen. Sie

hat niemanden.

Und ist doch nicht allein. Vor drei

Jahren verschlug sie eine Zufälligkeit

des Glücks in die Psychiatrische Kli-

nik. Seitdem wird sie behandelt, mit

Medikamenten, vor allem auch mit

menschlicher Wärme. „Sie ist eine

Ausnahme“, sagt Worknesh mit einer

Stimme, die so sanft wie energisch

klingt: „Normalerweise verlassen un-

sere Patienten die Klinik nach sechs

Wochen bis drei Monaten, aber Harab

wollen wir nicht der Kälte der Straße

überlassen.“ Sie wäre verloren? „Ja“,

sagt Worknesh, „ja!“

Worknesh Tessema und Mubarak

Abera neben ihr haben den Studien-

gang „Master of Science in Integrated

Clinical and Community Health“ in

Jimma absolviert, den LMU-Psychiate-

rinnen federführend mit konzipiert ha-

ben. Sie und zwei weitere Master leis-

ten die gleiche Arbeit wie die beiden

Psychiater des Krankenhauses. Hinzu

kommen zwei klinische Psychologen

und Fachschwestern sowie Studenten.

Das etwa 20-köpfige Team sieht täg-

lich fünf bis zehn neue Patienten und

rund 50 Patienten, die bereits behan-

delt werden. Insgesamt weisen die

Akten der Klinik 3.000 Patienten aus.

„Wir sind überlastet“, sagt Worknesh

ohne einen Hauch der Klage, „die

Herausforderung macht dich stark!“

Sandra Dehning, Andrea Jobst, Prof.

Reiner Frank und Dr. Wolfgang Krahl

haben die Master seit 2010 immer wie-

der unterrichtet. „Mit den Leuten aus

München wurde alles anders“, sagt

Worknesh, „sie haben uns mit ihrem

Wissen geformt.“ Es war der Kick-off

für eine Entwicklung, die eines Tages in

eine flächendeckende psychiatrische

Behandlung im Land münden soll.

Zuvor wäre die Versorgung von Patien-

tinnen wie Harab kaum denkbar gewe-

sen. Seitdem sind auch die Therapie-

ziele höher gesteckt und bauen nicht

allein auf Medikamente.

Wir sitzen im Raum der Beschäfti-

gungstherapie – ein, sagen wir, wun-

derbares funktionales Chaos. Neben

Kochtöpfen hängen bunte Bilder an

den Wänden, die die Pa-

tienten mit Wasserfarbe

gemalt haben. Im Regal

liegen ein Pezziball und

eine Sammlung mit Spie-

len wie „Mensch ärgere

Dich nicht“. Es wird ge-

puzzelt. Das Aroma des

Raums zieht durch die

ganze Psychiatrische Kli-

nik. „Der beste Duft der

ganzen Jimma Univer-

sity“, versichert Sandra

Dehning. Das liegt am

Kaffee. Kaffee pflanzen im Patienten-

garten vor dem Fenster, den Kaffee

ernten, ihn kochen, auch das zählt hier

zur Therapie.

Die meisten Patienten sind einfache

Bauern, die oft erst nach langer Leidens-

zeit und etlichen Behandlungen mit

traditioneller Medizin in der Psychiatrie

der Jimma University landen. Die Be-

handlung dort verfolgt ein klares Ziel.

„Die meisten Patienten lernen, wieder

ihren Alltag zu bewältigen“, betont

Worknesh, „sie sollen arbeiten und mit

ihren Familien leben.“ Meist klappt das,

manchmal nicht, wie im Falle von Harab,

deren Schizophrenie nicht ausreichend

auf die Medikamente anspricht. Man

könnte ihre Behandlung zumindest ver-

bessern, aber ein dafür nötiges Medi-

kament ist in Äthiopien bisher nicht ver-

fügbar. Mit der Bürde der schweren

psychischen Erkrankung wäre ihr Da-

sein mit Wahnvorstellungen und Hallu-

zinationen stigmatisiert draußen in der

Gesellschaft.

„Letztlich ist es unsere Mission, das

Stigma der Patienten durch eine gute

Behandlung zu reduzieren“, sagt Muba-

rak. Gegen alle Widerstände wollen

seine Kollegen und er beweisen, dass

Medikamente plus Psycho- und Beschäf-

tigungstherapie die Patienten ins Leben

zurückbringen. Viel besser noch ginge

das mit einer Rehabilitationsfarm – inni-

ger Wunsch nicht nur von Mubarak und

Worknesh, sondern auch der deutschen

Psychiater. Ob und, falls ja, wann das

Projekt realisiert wird, steht allerdings

noch in den Sternen über Jimma.

»Letztlich ist es unsere Mission,

das Stigma der Patienten

durch eine gute Behandlung

zu reduzieren.«