AFRIKA
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Gibe. Es geht um grundlegende Dinge
wie Einkommen, Kinderzahl, Landbe-
sitz, Beziehungsstatus, Tod von Fami-
lienmitgliedern, Bildung, Gesundheit
und so weiter. So entstand ein veritab-
ler Datensatz, der einiges über die
Entwicklung in diesem Teil Äthiopiens
verrät. „Die Sterblichkeit ist in den
vergangenen Jahren stark gesunken“,
erklärt Fasil, „die Geburtenrate auch,
dafür steigt die Lebenserwartung.“
An diesen Survey hat sich Kristina
Adorjan mit ihrem Kooperationsprojekt
zwischen dem Institut für Psychiatri-
sche Phänomik und Genomik der LMU
(Leitung: Prof. Thomas G. Schulze) und
der JU zum Khat-Verbrauch angeschlos-
sen. Erstes Ergebnis der Studie: 70
bis 80 Prozent der Männer zwischen
18 und 40 Jahren haben in den sieben
Tagen vor dem Befragungszeitpunkt
Khat konsumiert.* Zwölf Prozent der
Khat-Kauer entwickelten Symptome
einer Psychose wie Stimmenhören, Ver-
folgungswahn und andere.
Ein zusätzlicher Risikofaktor für
Psychosen unter Khat sind trauma
tische Erlebnisse durch sexuelle
Gewalt, Kriegserfahrungen, Krankhei-
ten oder mangelnde Gesundheitsver-
sorgung. „Der Zusammenhang zwi-
schen Khat, Trauma und Psychose ist
bemerkenswert“, sagt die LMU-Ärztin,
„das ist ein Komplex von Erkrankun-
gen, den man mit einer neuen Form
der Psychotherapie womöglich gemein
sam behandeln kann.“ Das wäre neu
und könnte auch Wege weisen für die
Psychiatrie bei uns.
Vom bäuerlichen Khat-Garten fah-
ren wir zum nächsten Health Center.
Das ist ein staatli-
cher Vorposten, der
die Grundversorgung
für Patienten mit
leichten bis mittel-
schweren Erkrankungen sichern soll
– auch psychiatrischen, wie Fasil
sagt. Vier sind es in Gilgel Gibe für
60.000 Leute. Ein kleines blaues stei-
nernes Haus und einige Wellblech-
hütten formieren sich zu einem Recht-
eck. Ein Bauer fährt mit einem
Eselskarren ein und bringt seine Frau
und ihr Baby. Sie setzt sich zunächst in
den offenen Warteraum, in dem die
Patienten Satelliten-TV schauen. In der
Impf-Hütte herrscht Hochbetrieb –
Angst vor der präventiven Spritze für
Kinder hat hier niemand. Das Lager
mit Medikamenten ist gut gefüllt.
Im Center haben Krisitna Adorjan
und ihre äthiopischen Kollegen sogar
Urinproben von Studienteilnehmern wis-
senschaftlich auf Khat-Bestandteile
untersucht. Schwere Krankheitsfälle wer-
den allerdings an die Jimma University
überwiesen. Dort könnte Kristina Ador-
jan bald eine Therapie für die Khat-Süch-
tigen mit oder ohne Psychose testen
sowie mit Prof. Schulze weitere biologi-
sche Grundlagenforschung starten.
Aufgrund ihrer Studie hat das äthio-
pische Gesundheitsministerium außer-
dem seine Unterstützung für eine „Reha-
bilitations-Farm“ für Khat-Abhängige in
Aussicht gestellt – mit Entgiftung, Lang-
zeittherapie, beruflicher und sozialer
Reintegration, Psychotherapie, For-
schung und Weiterbildung psychiatri-
scher Fachkräfte. „Das“, sagt Kristina
Adorjan, „wäre ein Traum.“
»Der Zusammenhang zwischen Khat,
Trauma und Psychose ist bemerkenswert,
das ist ein Komplex von Erkrankungen,
den man mit einer neuen Form der
Psychotherapie womöglich gemeinsam
behandeln kann.«
»Die Sterblichkeit ist in den
vergangenen Jahren stark
gesunken, die Geburtenrate
auch, dafür steigt die Lebens
erwartung.«
Diagnostik im
Gesundheitszentrum
*Siehe: K. Adorjan [...] T.G. Schulze in World Psychiatry, Oktober 2017
Ein Gesundheitszentrum – erste
Anlaufstelle für kranke Menschen
in Äthiopien im ländlichen Raum