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AFRIKA

24

Jimma

Addis Abeba

seinen Gedanken nachhängt oder im Gehen das Ter-

rain näher beäugt, kann schnell im nächsten Bauloch

landen. Geier, Sattelstörche und riesige Krähen navi-

gieren zwischen wuchernden Bäumen und den Lehr-

und Klinikumsgebäuden. Architektonisch mischen

sich krude die Stile: Häuser aus der italienisch-fa-

schistischen Besatzungszeit, die charmant-morbid

vor sich hin verfallen,

stehen neben sozialisti-

schen Plattenbauten, die

älter aussehen, als sie ver-

mutlich sind. Immer neue

Funktionsbauten, die zu-

weilen, wie das neue Kli-

nikum, schon zehn Jahre

in den Fundamenten ha-

ben, ehe sie bezogen wer-

den, aber nüchtern eine

bessere Zukunft verhei-

ßen. Der Strom fällt immer wieder aus, die Toiletten

sind oft funktionsunfähig, das Internet ruckelt oder

streikt mitunter völlig. Aus welchen Gründen auch

immer.

Wie kommen Sie mit den Bedingungen klar,

Herr Siebeck?

Die Bedingungen sind hart, aber kein Problem für

mich, weil ich sie inzwischen gewohnt bin und ja nur

vorübergehend ertragen muss. Aber für die äthiopi-

schen Studenten ist das schwer zu verdauen.

Dafür erscheinen die aber top motiviert. Täuscht das?

Nein, die sind absolut engagiert. Die Truppe, die ich

gerade unterrichte, ist hochgradig an der Sache inter-

essiert, um die es geht. Das sind alles Leute, die tat-

sächlich frustriert sind von den altmodischen Unter-

richtsmethoden an ihren Universitäten und etwas

weiterentwickeln wollen.

Die Sache, um die es gerade geht: Mehrmals im Jahr

reist Siebeck mit Prof. Martin Fischer, Lehrstuhlinha-

ber für Medizinpädagogik, und demPädagogen Fabian

Jacobs nach Jimma, um auszubilden – im Kurs „Mas-

ter in Health Professional Education“. Auf eine Idee

Siebecks hin haben die Äthiopier das zweijährige Pro-

gramm für Ärzte und Gesundheitsexperten selbst ent-

wickelt. Die deutschen Experten haben allenfalls be-

raten, basierend auf ihren Erfahrungen, unterrichten

aber imModul „Educational Project and Research“ als

Gastdozenten. In einem kahlen Raum bringt Sie-

beck den jungen Leuten bei, wie man medizini-

sche Daten visualisiert und grafisch aufbereitet. Al-

les neu für die eine Frau und die elf Männer, die

gebannt auf jede Erkenntnis starren, die der Beamer

an die Wand wirft.

Der Studiengang ist auf der Höhe der Zeit, weil er

dezidiert auf die äthiopischen Bedürfnisse zuge-

schnitten ist. „Kritik- und anpassungslos westliche

Lehrpläne zu übernehmen, geht gar nicht mehr“, sagt

Martin Fischer. Ob die künftigen Master ihr neues

Wissen zur Lehre in einer Art Schneeballeffekt nach-

haltig verbreiten, ist noch ungewiss. Fischer will es

mit Interviews und Befragungen nachverfolgen und

hält die Lehre „für einen Schlüssel der Gesundheits-

versorgung“. Gerade hat er erfahren, dass der

Chef des Studiengangs

auf äthiopischer Seite

wahrscheinlich ein eige-

nes Institut an der Jimma

University bekommt. Gute

Nachrichten!

Herr Siebeck, Sie sind

Chirurg. Warum operie-

ren Sie nicht einfach im

nächsten OP in Jimma

und helfen direkt?

Was würde das bringen? Ich operiere ein paar

Wochen lang 100 Menschen und gehe dann wieder

nach Deutschland. Dann blieben immer noch

Zehntausende ohne Behandlung. Mir geht es um

strukturelle Veränderungen, die das Gesundheits-

wesen eines Entwicklungslands flächendeckend

verändern können. Da ist der Bereich Ausbildung

und Lehre besonders vielversprechend. Davon war

ich von Anfang an überzeugt – und bin es mehr

denn je.

Und? Verändert sich etwas?

Oh ja, in Jimma an der medizinischen Fakultät hat

sich sehr viel bewegt. Vor 15 Jahren gab es nur

Grundstudium Humanmedizin, heute gibt es eine

Vielzahl von verschiedenen Studiengängen. Im natio-

nalen Ranking hat die Jimma University fünfmal hin-

tereinander als führende Uni abgeschnitten. Und es

geht immer weiter.

»Der Studiengang ist auf der Höhe

der Zeit, weil er dezidiert auf die

äthiopischen Bedürfnisse zuge­

schnitten ist. Kritikund anpas­

sungslos westliche Lehrpläne zu

übernehmen, geht gar nicht mehr.«

1980 gab es in Äthiopien

nur zwei medizinische

Fakultäten. 2002 waren

es drei. Jetzt hat das Land

27 staatliche und sechs

private medizinische

Universitäten.

ÄTHIOPIEN

Athiop ien