Klinikum Universität München // Jahresbericht 2013 - page 58

NeuroChirurgie&Neurologie
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Damals war es eine Revolution: Mitte der 1980er-
Jahre haben Neurochirurgen einem Patienten mit
Tremor (Zittern) hauchfeine Elektroden ins Gehirn
verpflanzt. Kurze Zeit später folgte die erste soge-
nannteTiefeHirnstimulationoderDBS (engl. Deep
Brain Stimulation) an Patientenmit Parkinson und
mit Bewegungsstörungen (Dystonien). DieElektro-
den setzenelektrische Impulse indenNervenzellen
ganz bestimmter, definierter Hirnregionen – bei
Parkinson-Patientenbeispielsweise indensubthala-
mischenKernen tief unterderGroßhirnrinde.
Dort istdieAktivität vonNervenzellenkrankhaftge-
steigert. Das wiederumwirkt wie eine Bremse auf
Bewegungszentren in der Hirnrinde. So können
sich die Patienten im fortgeschrittenenKrankheits-
stadium nur noch extrem langsam bewegen und
sind unfähig, Bewegungen willentlich zu starten.
Zerstörtman imGehirn vonTierendie subthalami-
schenKerne, lindern sich die Symptome. Hochfre-
quenteelektrischeReize indenKernen führen zum
gleichen Effekt – ohne das Gewebe zu schädigen.
„Mit dieser Operation heilen wir die Patienten
nicht“, sagtDr. JanH.Mehrkens,OberarztderNeu-
rochirurgischen Klinik in Großhadern und Leiter
derFunktionellenNeurochirurgie.Aber, unddas ist
entscheidend: „WirkönnendenPatientenviele Jah-
re langhervorragendeLebensqualität schenken; sie
können fast wieder ein normales Leben führen.“
Mehrkens beurteilt die Tiefe Hirnstimulation als
ein etabliertes Verfahren mit großen Chancen bei
überschaubarenRisikenundNebenwirkungen,was
in mehreren hochwertigen Studien nachgewiesen
wurde. Deshalb erstatten die Krankenkassen ganz
regulärauchdieKostenderOperation.DieRateun-
vorhersehbarer Komplikationen, die den Patienten
dauerhaft schaden könnten, liegt bei etwa einem
Prozent. Dagegen steht der Nutzen. Parkinson-
Patienten schwanken häufig zwischen extremen
Situationen, die den Alltag beschwerlichmachen.
Auf der einen Seite sind sie phasenweise nahezu
unbeweglich. Auf der anderen Seite können sie
phasenweise ihreBeweglichkeit kaumkontrollieren
undwerden irritierendunruhig.
„Diese Schwankungen können wir mit der OP
meist beheben“, sagt Jan Mehrkens. Überdies
könnendiePatientendieDosis ihrerMedikamente
deutlich senken. Auch 80 bis 90 Prozent der Pati-
entenmit Dystonien, alsounwillkürlichenMuskel-
verkrampfungen, „werden wieder normal beweg-
lich.“UndvielePatientenmitTremor sindvordem
Eingriff nicht einmal in der Lage, eingeständig zu
essen und zu trinken, weil sie so zittern, dass sie
wederGlasnochGabel zumMund führenkönnen.
Mit der TiefenHirnstimulation gestalten sie ihren
Alltagwieder selbstständig. Allerdings könnenbei
Parkinson imKrankheitsverlauf Symptome eintre-
ten, die mit der Stimulation nicht beherrschbar
sind – zumBeispiel Gleichgewichtsstörungen.
Einnormalesleben
fürParkinson-patienten
DieTiefeHirnstimulation ist einhervorragendwirksamesVerfahren für Patienten
mit ParkinsonunddiversenBewegungsstörungen. DieRisiken sindbegrenzt
Nicht jederPatientmit derParkinsonschenErkran-
kung ist für dieOperationgeeignet. Viele kommen
nicht infrage, weil sie zu alt und schwach für eine
Operation sind. Patienten mit schon beginnender
Demenz und/oder mit Depressionen fallen eben-
fallsheraus.BisvorKurzemgaltgleichermaßender
Leitsatz, dassdiePatientenauchnicht zu jung sein
sollten, um sichdenEffekt der TiefenHirnstimula-
tion als 'letzte Reserve' aufzusparen, da Sicherheit
und Erfolg der Methode noch nicht als anerkannt
galten. Für die Tiefe Hirnstimulation eignen sich
besondersPatienten,diekaummehr laufenkönnen
und deren Parkinson-Medikament Levodopa zu
ausgeprägtem Zittern führt, das den Alltag erheb-
lich behindert. Eswerden ausschließlichPatienten
operiert, derenBewegungsunfähigkeit sichverbes-
sert, wenn sie eine tolerable Dosis Levodopa neh-
men.Denngrundsätzlich sprechenauf dieOperati-
onnur Patienten an, die auch auf dasMedikament
reagieren. Ideale Kandidaten haben unter bester
Medikamentenwirkung praktisch keine Parkinson-
Symptome, leidenaber unter denWirkschwankun-
gen der Medikamentemit häufigen Unbeweglich-
keitsepisoden oder störenden Überbewegungen.
Entscheidend: dieAuswahlderPatienten
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