Klinikum Universität München // Jahresbericht 2014 - page 95

FORUM
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»Das ist
einextrem
ambitioniertes
Projekt«
Tausende Schadstoffe – und andere Faktoren wie etwa die Belastungmit Strahlen
oder die sozialeHerkunft –wirken inunseremLebenslauf auf uns ein. Genauer ge-
sagt: aufdieZellen inunseremKörper.Nochgenauergesagt, aufdie indenChromo-
somengespeichertenGeneundderenAktivität, waswiederumdasKrankheitsrisiko
beeinflusst. Beispiel: Zwar verursachen vor allem übermäßig fett- und kohlehydrat-
reicheErnährungdieVolkskrankheit Diabetes. Allerdings „gibt es inzwischendeut-
licheHinweise, dass auchhormonwirksameSubstanzen ausderUmwelt dasDiabe-
tes-Risiko erhöhen“, sagt Privat-Dozent StephanBöse-O’Reilly vom Institut undder
Poliklinik fürArbeits-, Sozial- undUmweltmedizin. ZudiesenSubstanzen zählt etwa
dasBisphenol A, das inPlastikflaschenenthalten ist.
Alle Schadstoffe undRisikofaktoren und ihre gesundheitsrelevanten Effekte en de-
tail zu beschreiben und zu verstehen, hat bislang niemand versucht. Zu komplex,
dachteman.Doch jetztwagen sichunter anderemdieMünchnerMedizinerumBö-
se-O’Reilly und weitere Experten aus ganz Europa erstmals ansatzweise an diese
Herkules-Aufgabeheran– imProjektHEALS (HealthandEnvironment-wideAssoci-
ationsbasedonLargePopulationSurveys) derEuropäischenUnion.
„Das ist ein extrem ambitioniertes Projekt“, räumt der Münchner Mediziner ein –
„aber auch ein hoch spannendes Forschungsfeld, das Jahr für Jahr interessanter
wird.“Böse-O’ReillysTeambeschäftigt sichmit denWirkungenvonQuecksilber im
Körper. Die Forscher sichten zunächst alle verfügbaren Studien über dieWirkung
des Schwermetalls. Mit diesen Daten füttern sie einen Hochleistungsrechner, der
simuliert, wie sichQuecksilber imKörper verteilt und anwelchen Stellen es scha-
det. „Dasweißmannochnicht“, sagt der Arzt. AndereArbeitsgruppen vonHEALS
erstellenmit den gleichenMethoden ähnlicheModelle für andere Substanzen res-
pektive Risikofaktoren. Immer wieder sollen dabei die Modelle optimiert werden.
Am Endewollen die Forscher ihre Ergebnisse bündeln und eine Computersimula-
tion kreieren, wie diese Substanzen und Risikofaktoren gemeinsam Erkrankungen
mit verursachen.Besonders inden„kritischen“Lebensphasenwievorundnachder
Geburt, inder Jugendund imAlter. „DakommengigantischeDatenmengenzusam-
men“, erklärt Böse-O’Reilly, „aber damit nähernwir uns dem großenGanzen an.“
Das langfristige Ziel des Projekts ist klar: der Politik zu empfehlen, wo sie ihr be-
grenztes Budget am besten investiert, um eine rationale Krankheitsvorbeugung zu
unterstützen.
WieSchadstoffe zusammenwirkenundunserKrankheitsrisiko
vonderEmpfängnisbis zumAlterbeeinflussen, dasuntersuchen
unter anderemForscher des Instituts undder Poliklinik für
Arbeits-, Sozial- undUmweltmedizin ineinemneuenEU-Projekt.
DassogenannteExposomspielt im
HEALS-ProjekteinegroßeRolle
MitdemBegriffExposom bezeichnen
Wissenschaftler sämtlicheEinflüsse,
dieZeitunseresLebensauf unseren
Organismus einwirken.Namentlich
äußereEinflüssewieUmweltschad­
stoffe, Lebensstil, Stress, Ernährung,
Infektionen,Medikamenteund
Radioaktivität.Namentlich innere
EinflüssewieEntzündungsprozesse,
körperfremdeStoffe, bereits existie­
rendeKrankheiten,Darmflora, oxida­
tiver Stressund soweiter.Ausallem
erwächst die „interne chemische
Umgebung“. Ziel neuerForschungen
ist es, diese interne chemische
Umgebungüber bestimmteStoffe
(Metalle, Immunmodulatorenund
soweiter) innur einerBlutprobebei
jedem Individuumzubeschreiben,
umetwasüber seineKrankheitswahr­
scheinlichkeitauszusagen.
Alles imBlut
Dr. StephanBöse-O'Reilly
Privat-Dozent am Institut und
der Poliklinik für Arbeits-, Sozial-
undUmweltmedizin
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