Klinikum Universität München // Jahresbericht 2014 - page 31

ComprehensiveCancerCenterMünchen
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n jeder Krebszelle sindbestimmteGene verändert,
waszueinerübermäßigenoder vermindertenPro-
duktion von Proteinen oder zu veränderten Protei-
nen an sich führt. Diese Proteine gehören zumoleku-
larenSignalwegen, über dieZellen ihrWachstumund
ihre Vermehrung regulieren. Diese molekularen Ver-
änderungen verursachen, dass eine vormals gesun-
de zueiner bösartigenZelleentartet. DieTumorzellen
vermehren sich jetzt grenzenlos und breiten sich auf
verschiedene Organe imKörper aus. Diemeisten Tu-
morarten sindgekennzeichnet durchmehrere solcher
molekularenVeränderungen in verschiedenenSignal-
wegen. Sie können individuell in Patienten mit dem
gleichen Tumortyp variieren. „Sie können sich aber
auch in scheinbar unterschiedlichen Tumorarten –
wieDarm- oderBlut- oderHautkrebs–gleichen“, sagt
Prof. Karsten Spiekermann von der Medizinischen
Klinik und Poliklinik III in Großhadern. Jedes einzel-
neProtein oder Enzym, das aufgrund einermolekula-
renVeränderunggebildetwird, ist einZiel, andemein
passgenauer Wirkstoff ansetzen und das Wachstum
unddieVermehrungderKrebszellenbremsenkann.
Gemeinsammit demKlinikum rechts der Isar hat das
Klinikum der Universität München ein Konzept ent-
wickelt, das COMPACT heißt. Die Abkürzung steht
für „Common Pathways for Cancer Therapy“. Dieses
Konzept ist Teil eines großen nationalen Verbundvor-
habens, das vomBundesministerium für Bildung und
Forschunggefördertwirdund indem sich siebenuni-
versitäre Standorte gemeinsam mit dem Deutschen
Krebsforschungszentrum inHeidelberg (DKFZ)darum
bemühen, Krebserkrankungen besser zu verstehen
und neue Behandlungskonzepte aus diesen Erkennt-
nissenabzuleiten.
Prof. Karsten Spiekermann und sein Kollege, Privat-
Dozent Sebastian Stintzing, arbeiten an diesemZiel –
neue Diagnostik und Therapie für die Patienten – auf
zwei verschiedenen Wegen. Der eine, Spiekermann,
kennt sich exzellent aus, wenn es umdieErforschung
dermolekularen Signalwege in Leukämien geht, zum
BeispielderAkutenMyeloischenLeukämie (AML).Der
andere, Stintzing, hat Expertise in den entsprechen-
denZellenvonTumorendesMagen-undDarmtraktes.
Das ist das eine. Das andere: UmMutationen in den
unterschiedlichen Signalwegs-Genen bei jedem Pati-
entenvergleichenzukönnen,brauchteseineeinheitli-
cheMethodik inklusiveder dazugehörigenGeräte, die
beispielsweise die Erbsubstanz in den verschiedenen
TumorzellensamtallerMutationenhaarfeinentschlüs-
selt (sequenziert) und vergleicht. „Eine gemeinsame
Analyse-Plattform inklusive bioinformatischer Aus-
wertung ist von zentraler Bedeutung“, erklärt Sebas-
tian Stintzing. Im Vergleich zu früheren Analysen, in
denennur einzelneGene sequenziertwurden, können
dieWissenschaftlernunalleGenveränderungen inden
Tumorzellen identifizieren.DochdieAnalyse–vonder
Gewinnung des Tumormaterials über die standardi-
sierteSequenzierungbiszur IdentifikationundBewer-
tungkrankheitsrelevanterVeränderungen–bleibt eine
große Herausforderung. Es fallen gigantische Daten-
mengenan,diedieKrebsforschergemeinsammitdem
erfahrenen Institut für Medizinische Informationsver-
arbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE) und
demGenzentrumder Ludwig-Maximilians-Universität
bearbeiten und interpretieren. Ob eine so identifizier-
te Genveränderung einen Ansatzpunkt für zielgerich-
tete Therapie bietet, wird in einer interdisziplinären
Tumorkonferenz festgelegt. Auf dieser Basis verglei-
chen dieMediziner beispielsweise Genmutationen in
Signalwegen von AML-Patienten mit Veränderungen
inGenen vonDarmkrebs-Patienten.
Derlei Analysen laufen auf Hochtouren in Großhadern
– mit ersten Resultaten. Ein Beispiel: Patienten mit
metastasiertem Darmkrebs haben in denselben Si­
gnalwegen Mutationen wie Patienten mit einer be-
stimmten Leukämieart. Dementsprechend ist dieser
Signalweg sowohl in der Leukämie als auch in der
Therapie vonDarmkrebsZiel vonMedikamenten.
Die BRAF-Mutation, die zu einer Daueraktivierung
einesWachstumsweges führt, ist bei etwa zehn Pro-
zent der Tumoren im metastasierten Stadium des
Darmkrebses vorhanden und findet sich ebenso in
fast allenFällender sogenanntenHaarzell-Leukämie,
einer bestimmtenUnterart vonBlutkrebs. Neben der
Identifikation der Mutation werden nun gemeinsa-
me Therapiestrategien entwickelt, um Patienten un-
mittelbar mit Hemmstoffen gegen dieseMutation zu
therapieren.
„Mit unserem Ansatz der gemeinsamen Signalwe-
ge sindwir forschungsmäßig ganz nah am Patienten
dran“, sagt Karsten Spiekermann. Denn die Wissen-
schaftler konzentrieren sich momentan auf jene An-
griffspunkte in molekularen Signalwegen, für die es
bereits zugelasseneMedikamentegibt.
COMPACTundVerbundforschung
TumorenundmolekulareSignalwege
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