Klinikum Universität München // Jahresbericht 2013 - page 45

Mund-Kiefer-GesichtSChirurgie
45
Herr Prof. Cornelius, wie geht es dem
PatientenPetros, denSieund IhreKolle-
gen imSommer 2013operiert haben?
Wie es ihm gesundheitlich geht, weiß
ich nicht genau. Ichweiß aber, dasswir
ihn nachbehandeln müssen. Einmal,
weil ja ein Tumorrest geblieben ist, den
wir nicht entfernen konnten.Möglicher-
weise muss er deshalb noch bestrahlt
werden. Zum anderenmüssenwir noch
einmal an die Rekonstruktion der Nase
und prüfen, ob sich aufgrund der vielen
ImplantateDruckstellen und infolgedes-
senPerforationenentwickelt haben.
In Äthiopien wird Petros nicht nach­
behandelt?
Nein, diese Rekonstruktion war einfach
zukomplex.Da sollten lieberwirdieBe-
handlungweiterführen.
DieOperationwar spektakulär…
Das stimmtwohl. Ich sehe sieaber auch
kritisch. Es mag sein, dass diese derart
komplexe Operation nur bei uns in
Deutschland zu realisieren war. Aber
grundsätzlich sollten wir Eingriffe wie
diese, wann immer möglich, nur in den
HeimatländernderBetroffenenmachen.
Das ist für mich inzwischen ein ganz
wichtigerPunkt.
Warum?
Weil wir die menschliche Seite berück-
sichtigenmüssen. Sehen Sie: Wennwir
die Leute für die Operation hierher ho-
len, erleben sie einenKulturschock. Das
ist nicht trivial und geht hin bis zu Ess-
störungen und Psychosen. Die wollen
nicht wieder zurück nachHause. Selbst
ein Krankenzimmer in Großhadern ist
für die deutlich lebenswerter als die
Lehmhütte zu Hause ohne Wasser und
Strom.
VersuchenSie,denKulturschockwenigs-
tensabzufedern?
Sicher versuchenwir das.Wir sind zum
Beispiel in äthiopische Restaurants in
Münchengegangen, um für unserePati-
enten Kontakte zu Landsleuten aufzu­
bauen.WirhabendenLeutenderäthiopi-
schenGemeinschaft inMünchenerzählt,
was wir vorhaben, und die haben sich
sehr um die Patienten gekümmert. Das
ist die einzige psychosoziale Stütze, die
wir diesenMenschen hier wirklich bie-
ten können. Das hat bisher auch ganz
hervorragend geklappt. Daraus sind
sogar dauerhafte Freundschaften ent-
standen.
Sie müssen die Patienten ja für den ei-
gentlichenmedizinischenEingriff irgend-
wiebei derStangehalten…
Ganz genau. Wir haben auch gelernt,
dass es besser ist, die Menschen im
Sommer zu holen und nicht imWinter.
Das alles aber kann nicht die psychi-
schen Probleme verhindern, wenn die
PatientenwiedernachÄthiopienzurück-
kehrenmüssen.
Was schließenSiealsoaus allenbisheri-
genErfahrungen?
Wir müssen Systeme für verschiedene
Operationen etablieren, mit denen wir
diePatienten vorOrtmit gleicherQuali-
tät operieren. Es kommt nämlich noch
ein anderer Punkt hinzu: das Geld. Die
Kosten für die Therapie von Patienten
wie Petros bei uns sind oft unkalkulier-
bar. Siebelaufen sichaberdurchschnitt-
lich auf Summen zwischen 40.000 und
70.000 Euro. Das sind gigantische Be­
träge. In Äthiopien kann man das für
3.000US-DollarmachenplusTransport-
undÜbernachtungskosten für ein ange-
reistes und unentgeltlich arbeitendes
OP-Team. Theoretisch könnten also für
dengleichenBetragwie inDeutschland
10-bis20-malmehrPatientenbehandelt
werden.
Aber ist das überhaupt realistisch, bei-
spielsweise in Äthiopien eine Operation
auf demgleichenNiveauzumachenwie
inMünchen?
Durchaus. Wir haben beispielsweise
schon ein Planungs- und Behandlungs-
konzept für die Chirurgie von Unterkie-
fertumoren entwickelt, das sich auch in
Entwicklungsländern anwenden lässt.
Vorausgesetzt Sie organisieren es in ei-
nemZentrumvorOrt,daskompetentmit
Patienten mit Luftröhrenschnitten um-
gehen kann. Unschätzbar ist dieBetreu-
ungderPatientendurchLandsleuteund
die eigene Familie. So stelle ichmir zu-
künftig sinnvolleHilfevor.
OperationenanPatientenwiePetroshabenmenschlicheAspekte, die für
Prof.Dr. Carl-PeterCorneliusgravierend sind.NachmehrjährigenErfahrun-
genhat erLehrengezogen–undmitKollegeneinBehandlungskonzept entwi-
ckelt, das indenHeimatländernderPatientenumgesetztwerdenkönnte.
1...,35,36,37,38,39,40,41,42,43,44 46,47,48,49,50,51,52,53,54,55,...122