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Muskeldystrophien

Hintergrund

Gliedergürteldystrophien (LGMD) und myofibrilläre Myopathien (MFM) bilden eine klinisch und genetisch heterogene Gruppe genetisch determinierter, progredienter Erkrankungen des Skelettmuskels, teilweise auch mit Beteiligung des Herzmuskels. Gemeinsames Symptom ist eine fortschreitende Muskelschwäche und –atrophie, die häufig erst im Erwachsenenalter eintritt und sich in Verteilungsmuster und Schweregrad zwischen den verschiedenen Formen deutlich unterscheidet. Bislang wurden LGMD und MFM im Wesentlichen histologisch voneinander unterschieden. Mit fortschreitender Identifizierung von Loci und Genen für LGMD und MFM entstehen jedoch derzeit neue Zuordnungen und Klassifikationen, sowie ein verbessertes Verständnis der Pathogenese. So wurden interessanterweise identische Mutationen des Myotilin-Gens sowohl mit der LGMD1A als auch mit einer MFM in Verbindung gebracht.

Ziele

Im Rahmen internationaler Forschungskooperationen werden verschiedene innovative Ansätze wie klinische und morphologische Untersuchungen, molekulare und zellbiologische Studien, Zell- und Tiermodelle verfolgt, um die folgenden Ziele zu erreichen:

  • Weitere Charakterisierung der phänotypischen Ausprägung und der molekularen Basis von Muskeldystrophien und Untersuchung der pathophysiologischen Mechanismen dieser Erkrankungen
  • Generierung von Zell- und Tiermodellen dieser Erkrankungen, um auf der Basis pathophysiologischer Daten zur Entwicklung neuer Therapien beizutragen
  • Präzise Definition des phänotypischen Spektrums einzelner Muskeldystrophien, um die klinischen und morphologischen Diagnosekriterien zu verbessern
  • Suche nach neuen, phänotypisch homogenen Subgruppen, die ggf. eine Identifizierung neuer Gene erlauben
  • Zielgerichtete Suche molekularer Defekte bei bereits bekannten und bei Kandidaten-Genen
  • Etablierung von Genotyp/Phänotyp Korrelationen und prognostischer Kriterien

Relevanz

Die Mehrzahl seltener erblicher Erkrankungen ist derzeit nicht zufriedenstellend und kausal therapierbar. Mit den Fortschritten der molekularen Medizin zeichnen sich jedoch zwischenzeitlich für einige dieser Erkrankungen neue Therapieansätze ab (z.B. Exon-Skipping und Stop-Codon Read-Through bei Muskeldystrophie Duchenne). Aus den Reagenzgläsern der Grundlagenwissenschaftler entstanden in den letzten Jahren ein Vielzahl von potentiellen, innovativen Therapieansätzen, ohne dass, bis auf wenige Ausnahmen, Patienten mit seltenen Erkrankungen davon klinisch profitiert hätten. Dennoch trägt eine verbesserte Genotyp/Phänotyp Diagnostik entscheidend zur verbesserten Beratung der Patienten hinsichtlich individueller Prognose, Berufswahl und Kinderwunsch bei. Zusätzlich ist die diagnostische Abgrenzung von erworbenen Myopathien auch wichtig zur Vermeidung nicht indizierter medikamentöser, z.B. immunsuppressiver Therapien. Die molekulargenetische Klassifizierung einer Erkrankung ist Voraussetzung für die Teilnahme an künftigen Therapiestudien.

Wichtigste Ergebnisse

Zu den wichtigsten Forschungsergebnissen unserer Arbeitsgruppe im Bereich der Muskeldystrophien in den letzten Jahren gehören

A novel mutation in the myotilin gene (MYOT) causes a severe form of limb girdle muscular dystrophy 1A.

Mutationen des Myotilin-Gens werden sowohl mit der Gliedergürteldystrophie 1A (LGMD1A) als auch mit einer Myofibrillären Myopathie (MFM) in Verbindung gebracht. Wir konnten einen Patienten mit LGMD1A auf dem Boden einer bislang nicht beschriebenen Mutation im Myotilin-Gen charakterisieren, mit klinisch spätem Beginn, aber rascher Progredienz, Verlust der Gehfähigkeit und respiratorischer Dekompensation. Sowohl die Muskel-MRT als auch die histologischen Ergebnisse waren klar von einer MFM abzugrenzen. Somit müssen auch Mutationen im Myotilin-Gen als seltene Ursache für dominante LGMD mit Beginn im Erwachsenenalter im Rahmen eines diagnostischen Work-Up bedacht werden.

A founder mutation in Anoctamin 5 is a major cause of limb-girdle muscular dystrophy.

Vor kurzem konnten Mutationen im Anoctamin-5 Gen (ANO5) als Ursache der Gliedergürteldystrophie Typ 2L (LGMD2L) identifiziert werden.  Wir konnten dazu beitragen, eine Kandiatengruppe mit 64 Patienten aus 59 englischen und deutschen Familien auf die häufigste im ANO5 Gen beschriebene Mutation (c.191dupA im Exon 5) zu screenen, und bei 20 Patienten zu identifizieren, davon bei 15 in homozygoter, und bei 5 in compound heterozygoter Form. Bei den heterozygoten Patienten konnte jeweils eine weitere ursächliche Mutation im ANO5 Gen gefunden werden. Ein intragenischer Polymorphismus und extragenische Mikrosatellitenmarker legten dabei einen Founder-Effekt innerhalb der nordeuropäischen Population nahe. Des Weiteren haben wir den klinischen Phänotyp bei diesen Patienten charakterisiert: die Patienten zeigen einen Beginn der Symptomatik im Erwachsenenalter mit hoher CK (im Mittel 4500 U/l) und zunächst proximaler Gliedergürtelschwäche, häufig findet sich eine Muskelatrophie sowie eine Asymmetrie im Befall der Muskulatur, die meisten Patienten bleiben über mehrere Jahrzehnte gehfähig, Herz- und Lungenfunktion sind normal, teilweise können auch distale Muskeln betroffen sein. Wir nehmen an, dass LGMD2L mit einer Prävalenz von 0.27/100.000 in etwa doppelt so häufig ist wie die Dysferlinopathien (LGMD2B/MM). Somit stellt die LGMD2L eine relativ häufige Ursache für eine adulte Gliedergürteldystrophie mit ausgeprägter HyperCKämie dar, so dass ein Mutationsscreening auf die häufige Mutation c.191dupA bereits früh im diagnostischen Algorhythmus adulter LGMD Patienten durchgeführt werden sollte.

Laminopathy presenting as familial atrial fibrillation.

Mutationen im Lamin A/C Gen sind mit mindestens 11 verschiedenen Erkrankungen assoziiert, die häufig auch das Herz mitbetreffen und unter dem Begriff “Laminopathien” subsummiert werden. Dazu gehören die autosomal dominante Emery-Dreifuss Muskeldystrophie (EDMD2/LGMD1B), eine Charcot-Marie-Tooth Disease Typ 2 (CMT2B1) sowie die dilatative Kardiomyopathie mit Überleitungsstörungen (DCM-CD/CMD1A). Aufgrund  eines hohen Risikos für einen plötzlichen Herztod – auch bei noch normaler kardialer Ejektionsfraktion und fehlenden neuromuskulären Symptomen – ist die frühzeitige Identifizierung und Behandlung von Betroffenen essentiell. In dieser Arbeit beschreiben wir eine Patientin, bei der die ersten Symptome im Alter von 33 Jahren in Form von Tachykardie aufgetreten waren, im EKG zeigte sich ein AV-Block °I, flache P-Wellen, isolierte ventrikuläre Extrasystolen sowie eine monomorphe ventrikuläre Extrasystole, die ventrikuläre Funktion war unauffällig, nach Beginn einer Therapie mit Betablockern war die Patientin zunächst symptomfrei. Familienanamnestisch bestand bei ihrer Mutter bereits im Alter von 35 Jahren, und einem Onkel mütterlicherseits ab dem 29. Lj. Vorhofflimmern. Ein Jahr später trat eine milde proximal und beinbetonte Gliedergürtelschwäche auf, molekulargenetisch konnte eine bislang noch nicht beschriebene Missense Mutation im LMNA Gen (p. Ala278Thr) bei der Patientin, ihrer Mutter, ihrem Onkel, sowie im Verlauf noch bei weiteren neun Familienmitgliedern identifiziert werden. Sieben davon hatten im Alter von 40 Jahren kardiale Symptome, sechs eine Gliedergürtelschwäche um das 47. Lj, vier starben am plötzlichen Herztod im Alter von 51 Jahren. Aufgrund des außerordentlich hohen Risikos für einen plötzlichen arrythmogenen Herztod wurde allen Betroffenen die Implantation eines Defibrillators empfohlen. An diesem Fall wird die Bedeutung einer eingehenden Familienanamnese, anhand derer eine hereditäre Herz- und/oder Muskelerkrankung bereits eingegrenzt werden kann, deutlich, insbesondere, da neuromuskuläre Symptome nur mild ausgeprägt oder spät im Verlauf der Erkrankung auftreten können, oder eine Muskelschwäche als Folge der Herzerkrankung fehlinterpretiert werden kann. Ebenso sollten die beschriebenen EKG-Veränderungen trotz normaler ventrikulärer Funktion und fehlender Muskelschwäche bereits an eine Laminopathie denken lassen.

Facioscapulohumeral muscular dystrophy presenting with unusual phenotypes and atypical morphological features of vacuolar myopathy.

Die Facioscapulohumerale Muskeldystrophie (FSHD) stellt die dritthäufigste Form aus der Gruppe der Muskeldystrophien dar. Sie folgt einem dominanten Erbgang, klinisch sind meist Gesichtsmuskulatur, proximale Schulter/Armmuskulatur und distale Beinmuskulatur betroffen, der klinische Phänotyp kann jedoch sogar innerhalb einer Familie stark variieren. Für gewöhnlich zeigt sich histologisch eine unspezifische degenerative Myopathie. In dieser Arbeit konnten wir fünf nicht miteinander verwandte Patienten mit genetisch gesicherterer FSHD beschreiben, bei denen muskelbioptisch zahlreiche „rimmed vacuoles“ und filamentäre zytoplasmatische Einschlüsse detektiert werden konnten. Klinisch zeigten die Patienten vorrangig eine Schwäche der Beinmuskulatur. Im Licht dieser Ergebnisse sollte bei der Differentialdiagnose distaler Myopathien mit „rimmed vacuoles“ im Erwachsenenalter auch an eine FSHD gedacht werden.

Eosinophilic myositis as presenting symptom in gamma-sarcoglycanopathy.

In dieser Arbeit konnten wir eine Patientin mit einer Gamma-Sarkoglykanopathie (LGMD2C) molekulargenetisch identifizieren, die zuvor aufgrund der muskelbioptischen Ergebnisse als eosinophile Myositis diagnostiziert worden war. Dabei handelt es sich um die erste Beschreibung einer LGMD2C, die sich initial als eosinophile Myositis präsentierte.  Eosinophilie war zuvor schon bei Patienten mit Muskeldystrophie Becker (BMD) und Calpainopathie (LGMD2A) beschrieben worden, könnte jedoch ein frühes, aber transientes Merkmal bei einer größeren Gruppe von Muskeldystrophien sein.

Ausblick

Die Projekte zielen auf die Pathogeneseforschung, Genotyp/Phänotyp-Korrelationen und die Entwicklung diagnostischer Tools für zahlreiche Formen von Muskeldystrophien, sowie in Weiterung auf die Entwicklung neuer kausaler Therapieformen für diese bisher unheilbaren Erkrankungen.

Drittmittelförderung

Die Forschung zu Muskeldystrophien wird gefördert durch das Forschungsförderungsprogramm der LMU (FöFoLe), durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Muskeldystrophienetzwerks MD-NET sowie durch die Europäische Union (6. RP) im Rahmen von TREAT-NMD, sowie durch die Patientenorganisationen „Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V.“ (DGM) und die „aktion benni & co e.V.“.

Kooperationspartner

Nina Barisic, Zagreb, Kroatien
Kate Bushby, Newcastle upon Tyne, UK
Dirk Fischer, Basel, Schweiz
Elke Holinski-Feder, München, Deutschland
Angela Hübner, Dresden, Deutschland
Veronika Karcagi, Budapest, Ungarn
Janbernd Kirschner, Freiburg, Deutschland
Snezana Kojic, Belgrad, Serbien
Wolfram Kress, Würzburg, Deutschland
Hanns Lochmüller, Newcastle upon Tyne, UK
Vedrana Milic-Rašic, Belgrad, Serbien
Clemens Müller-Reible, Würzburg, Deutschland
Rolf Schröder, Köln, Deutschland
Ulrike Schara, Essen, Deutschland
Kostas Spengos, Athen, Griechenland
Volker Straub, Newcastle upon Tyne, UK
Matthias Vorgerd, Bochum, Deutschland
Manfred Wehnert, Greifswald, Deutschland
Joachim Weis, Aachen, Deutschland

Ansprechpartner

Prof. Dr. Maggie C. Walter M.A.
Prof. Dr. Peter Reilich M.A.

Ausgewählte Publikationen

  • A novel mutation in the myotilin gene (MYOT) causes a severe form of limb girdle muscular dystrophy 1A (LGMD1A). (Neurol 2011, Epub ahead of print.)
    Reilich P, Krause S, Schramm N, Klutzny U, Bulst S, Zehetmayer B, Schneiderat P, Walter MC, Schoser B, Lochmüller H.
  • A founder mutation in Anoctamin 5 is a major cause of limb-girdle muscular dystrophy. (Brain. 2011 Jan;134(Pt 1):171-82.)
    Hicks D, Sarkozy A, Muelas N, Koehler K, Huebner A, Hudson G, Chinnery PF, Barresi R, Eagle M, Polvikoski T, Bailey G, Miller J, Radunovic A, Hughes PJ, Roberts R, Krause S, Walter MC, Laval SH, Straub V, Lochmüller H, Bushby K.
  • Laminopathy presenting as familial atrial fibrillation. (Int J Cardiol. 2010 Nov 19;145(2):394-6. Epub 2010 May 15.)
    Beckmann BM, Holinski-Feder E, Walter MC, Haserück N, Reithmann C, Hinterseer M, Wilde AA, Kääb S.
  • Facioscapulohumeral muscular dystrophy presenting with unusual phenotypes and atypical morphological features of vacuolar myopathy. (J Neurol. 2010 Jul;257(7):1108-18. Epub 2010 Feb 10.)
    Reilich P, Schramm N, Schoser B, Schneiderat P, Strigl-Pill N, Müller-Höcker J, Kress W, Ferbert A, Rudnik-Schöneborn S, Noth J, Lochmüller H, Weis J, Walter MC.
  • Eosinophilic myositis as presenting symptom in gamma-sarcoglycanopathy. (Neuromuscul Disord. 2009 Feb;19(2):167-71. Epub 2009 Jan 23.)
    Baumeister SK, Todorovic S, Mili?-Rasi? V, Dekomien G, Lochmüller H, Walter MC.