Friedrich-Baur-Institut » NBIA/TIRCON » NBIA – Krankheitsbilder

NBIA – Krankheitsbilder

Einführung und Klinische Symptomatik

Neurodegeneration mit Eisenablagerung im Gehirn (Neurodegeneration with Brain Iron Accumulation, NBIA) ist eine Gruppe erblich bedingter neurodegenerativer Erkrankungen mit einer geschätzten Prävalenz von 1/1.000.000. Gemeinsames Merkmal sind abnorme Eisenablagerungen in den Basalganglien, insbesondere im Globus pallidus und der Substantia nigra.

Neben idiopathischer NBIA, deren genetische Ursachen bislang noch nicht bekannt sind, wurden bisher 10 verschiedene Gendefekte identifiziert, die zu NBIA führen. Dabei ist die Pantothenatkinase-assoziierte Neurodegeneration  (PKAN; ehemals Hallervorden-Spatz-Syndrom) mit ca. 35-50 % aller NBIA-Betroffenen die häufigste Form. Die klinische Symptomatik der einzelnen Krankheitsvarianten stellt sich wie folgt dar (Bei einigen Unterformen sind bis dato nur wenige Fälle weltweit beschrieben, weswegen der Phänotyp durchaus von den hier berichteten Symptomen abweichen kann):

NBIA-Form

Klinische Symptomatik

Pantothenatkinase-assoziierte Neurodegeneration (PKAN)

  • Klassische Form (früher Beginn, schnellere Progression): Gangstörung, Dystonie, Dysarthrie, Retinitis pigmentosa

  • Atypische Form (späterer Beginn, langsamere Progression): Insgesamt mildere Klinik, z.T. mit psychiatrischen Auffälligkeiten

Mitochondriales Membran-Protein-assoziierte Neurodegeneration (MPAN)

  • Beginn i.d.R. im Kindes- oder frühen Erwachsenenalter

  • Gangstörung, progressive spastische Paraparese, Dystonie, Parkinsonismus, Dysarthrie, Optikusatrophie, kognitiver Abbau, z.T. ausgeprägte psychiatrische Symptomatik, Harn- u./o. Stuhlinkontinenz

PLA2G6-assoziierte Neurodegeneration (PLAN)

  • Klassische Infantile neuroaxonale Dystrophie (INAD) (früher Beginn, schnelle Progression): schwere psychomotorische Regression, initiale Muskelhypotonie mit im Verlauf zunehmender spastischer Tetraparese, cerebelläre Atrophie, Optikusatrophie

  • Atypische Neuroaxonale Dystrophie (NAD) (späterer Beginn, langsamere Progression): Psychomotorische Regression, Dystonie, Dysarthrie, cerebelläre Atrophie, Optikusatrophie, psychiatrische Auffälligkeiten, Epilepsie

  • Dystonie-Parkinsonismus (später Beginn, langsame Progression): Parkinsonismus, Dystonie, kognitiver Abbau, initial deutliches Ansprechen auf dopaminerge Therapie

Beta-propeller-Protein-assoziierte Neurodegeneration (BPAN)

  • Im Kindesalter beginnende psychomotorische Retardierung

  • Im weiteren Verlauf z.T. rasche Progression der Dystonie und des Parkinsonismus

Seltenere Formen

Aceruloplasminämie

  • Eisenablagerungen im Gehirn als auch in der Leber

  • Diabetes mellitus, retinale Degeneration, Blepharospasmus, faziale und zervikale Dystonie, Chorea, Tremor, Dysarthrie, Ataxie

  • Üblicherweise Beginn im Erwachsenenalter

COASY-Protein-assoziierte Neurodegeneration (CoPAN)

  • Früh einsetzende spastisch-dystone Paraparese, Dystonie, Dysarthrie, Parkinsonismus, kognitive Einschränkungen

  • Insgesamt langsame Progression

Fatty Acid Hydroxylase-assoziierte Neurodegeneration (FAHN)

  • Beginn im ersten bis zweiten Lebensjahrzehnt

  • Ataxie, Dystonie, spastische Para- oder Tetraplegie, pos. Pyramidenbahnzeichen, Dysarthrie, Optikusatrophie

Kufor-Rakeb-Syndrom

  • Im Jugendalter auftretender Parkinsonismus, kognitiver Abbau, visuelle Halluzinationen, progressive supranukleäre Blickparese, Myokloni, okulogyrische Krise

Neuroferritinopathie

  • Ähnlichkeiten mit Chorea Huntington-Erkrankung: im Erwachsenenalter auftretende Chorea oder Dystonie, orofaziale Dystonie, kognitiver Abbau

Woodhouse-Sakati Syndrom

  • Dystonie, Dysarthrie, kognitiver Abbau, Hypogonadismus, Diabetes mellitus, Haarausfall

Diagnostik

Die Diagnose 'NBIA' erfolgt auf der Basis von Anamnese und klinischer Untersuchung in Verbindung mit MRT und molekulargenetischer Diagnostik. In der Regel ist ein hypointenses Signal in den Basalganglien in der T2-Sequenz im MRT erkennbar, welches hinweisend auf pathologische Eisenablagerungen ist.

NBIA-Form

Gen

Vererbung

MRT

Pantothenatkinase-assoziierte Neurodegeneration (PKAN)

PANK2

autosomal rezessiv

„Tigerauge“ im Globus pallidus

Mitochondriales Membran-Protein-assoziierte Neurodegeneration (MPAN)

C19orf12

autosomal rezessiv

Eisenablagerungen im Globus pallidus und Substantia nigra, z.T. cerebelläre Atrophie

PLA2G6-assoziierte Neurodegeneration (PLAN)

PLA2G6

autosomal rezessiv

Cerebelläre Atrophie, Eisenablagerungen im Globus pallidus und Substantia nigra (nicht in allen Fällen nachweisbar)

Beta-propeller-Protein-assoziierte Neurodegeneration (BPAN)

WDR45

X-chromosomal dominant

Eisenablagerungen in Substantia nigra > Globus pallidus

Seltenere Formen

Aceruloplasminämie

CP

autosomal rezessiv

Eisenablagerungen im Gehirn (Globus pallidus, Thalamus, Putamen, Ncl. caudatus und dentatus) und in inneren Organen (Leber)

COASY-Protein-assoziierte Neurodegeneration (CoPAN)

COASY

autosomal rezessiv

Eisenablagerungen im Globus pallidus und Substantia nigra; z.T. Verkalkungen im Globus pallidus

Fatty Acid Hydroxylase-assoziierte Neurodegeneration (FAHN)

FA2H

autosomal rezessiv

Eisenablagerungen im Globus pallidus und Substantia nigra; pontocerebelläre Atrophie, Ausdünnung des Corpus callosum

Kufor-Rakeb-Syndrom

ATP13A2

autosomal rezessiv

Generalisierte Hirnatrophie, Variable intracerebrale Eisenablagerungen

Neuroferritinopathie

FTL

autosomal dominant

Eisenablagerungen im Globus pallidus, Putamen, Thalamus; zystische Veränderungen in den Basalganglien

Woodhouse-Sakati Syndrom

DCAF17

autosomal rezessiv

Erhöhtes Eisen im Globus pallidus und Substantia nigra, Leukenzephalopathie

Therapiemöglichkeiten

Eine kausale Therapie ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben. Symptomatische Therapien richten sich nach den verschiedenen Krankheitsformen und können in Wirksamkeit und Verträglichkeit von Patient zu Patient variieren. Zur Behandlung der extrapyramidalen Bewegungsstörungen bzw. der Spastik werden u.a. Baclofen, ggf. per intrathekaler Baclofen-Pumpe, Trihexyphenidyl, intramuskuläre Botulinumtoxin-Injektionen ('Botox') und Benzodiazepine eingesetzt. In einigen Fällen stellt auch eine Tiefe Hirnstimulation eine Therapieoption dar.
Die Wirksamkeit und Verträglichkeit des Eisen bindenden Medikaments Deferiprone bei PKAN-Patienten wird derzeit, u.a. auch am Friedrich-Baur-Institut, im Rahmen des EU-Forschungsprojektes TIRCON untersucht.
Große Bedeutung haben zudem Physio- und Ergotherapie zur Muskelentspannung und zum Erhalt der Beweglichkeit und der Koordination. Je nach Ausprägungsgrad einer evtl. vorhandenen Dysarthrie und Dysphagie sind auch logopädische Maßnahmen indiziert.

Forschung und Studien

Im Rahmen des FP7-EU-Projekts TIRCON (Treat Iron-Related Childhood Onset Neurodegeneration) erfolgt unter Leitung von Prof. Dr. Thomas Klopstock der Aufbau eines internationalen NBIA-Patientenregisters sowie einer Biobank und die Durchführung einer multizentrischen Phase III Studie mit dem Eisenchelator Deferiprone bei PKAN.

Patientenorganisation

Hoffnungsbaum e.V. – Verein zur Förderung der Erforschung und Behandlung von NBIA (vormals Hallervorden-Spatz-Syndrom)

Ansprechpartner im Institut

Prof. Dr. med. Thomas Klopstock
Dr. med. Ivan Karin